Foto: DFID

Der Ausstieg

Zukunftswerkstatt zum Thema Klima und Energie

Von Kai Kuhnhenn

16. Juli 2019

 

Wie kann eine Energieversorgung aussehen, die sozial gerecht, demokratisch und klimaschützend ist? Im Rahmen unseres Projekts „Zukunft für alle – gerecht. ökologisch. machbar.“ haben wir gemeinsam mit 10 Vordenker*innen eine Vision entwickelt.

Im Jahr 2048 gibt es: die 1250 Watt-Gesellschaft, einen internationalen Klimarat, solidarische Produktionsgemeinschaften, die Versuchsregionen „Gutes Leben“ in den alten Braunkohlerevieren, Süd-Nord Partnerkommunen zum Austausch klimagerechter Techniken und Lebensweisen

Im Jahr 2048 gibt es nicht mehr: CO²-Emissionen – weder im Stromsektor noch bei Verkehr oder Raumwärme, die Energie- und Industrielobby, Profite im Energiesektor

Ein Erfahrungsbericht aus der Zukunft

Ich glaube, ich steige dieses Jahr aus. Ich bin jetzt seit zwei Dekaden Energiedienstleisterin (umgangssprachlich E-Nerd), 2048 wird mein letztes Jahr!

Dabei bin ich nicht unzufrieden mit meiner Arbeit. In den vergangenen 25 Jahren haben wir viel erreicht. Damals, nach den großen Protesten 2020 wurde schnell klar, dass die Regierungen nicht nur ihre Rivalität, sondern auch das Streben um Wirtschaftswachstum aufgeben mussten, um den Planeten für Menschen bewohnbar zu halten. Natürlich gab es großen Widerstand der Energie- und Industrielobby, aber eine ganze Generation forderte Veränderungen und schmiedete Bündnisse mit sozialen Bewegungen, der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft. Gleichzeitig wütete eine Wetterkatastrophe nach der nächsten – den Regierungen fielen einfach keine guten Ausreden mehr ein und die schlechten Ausreden kosteten Wähler*innenstimmen.

Diese neuen Machtverhältnisse veränderten auch die internationale Klimapolitik. Die auf Konkurrenz angelegten Klimaverhandlungen wurden schließlich 2030 durch einen internationalen Klimarat ersetzt. Dieser besteht aus 100 Personen, die 100 Weltregionen entsprechen. In den Weltregionen gibt es wiederum Räte aus 100 Personen und so setzt sich das fort, bis auf die Ebene der Kommunen. Dabei werden die Entscheidungen immer auf der kleinstmöglichen Ebene getroffen und die Ratsmitglieder sind streng mandatsgebunden. Das heißt, sie entscheiden nicht nach ihrem Empfinden, sondern brauchen immer die Zustimmung durch ihren eigenen Rat.

Von den ehemaligen Klimaverhandlungen sind nur die Ziele geblieben – wir haben zwar die 1,5 Grad-Grenze gerissen, sind aber auf guten Wegen, die Erwärmung auf 1,8 Grad zu begrenzen. Der Klimarat koordiniert die globalen Bemühungen und kümmert sich darum, dass die Emissionsbudgets für die einzelnen Regionen eingehalten werden. Im Notfall durch Handelsbeschränkungen, normalerweise reichen aber öffentliche Tadel. Wir in Nordosteuropa haben dabei etwas mehr Budget als der Durchschnitt auf der Nordhalbkugel, einfach weil es ziemlich kalt werden kann. Trotzdem bedeutete das Budget am Anfang eine Mammutaufgabe – keine CO2-Emissionen mehr ab 2035, weder im Stromsektor noch bei Verkehr oder Raumwärme. Wir Energiedienstleister*innen haben uns um die technische Seite gekümmert. Uns wurde aber schnell klar, dass wir das nicht schaffen können, wenn der Energieverbrauch weiter steigt. Als Antwort darauf schlugen NGOs die „sinkende Wattgrenze“ vor. Angelehnt an das Modell der 2000 Watt-Gesellschaft sollte der Energiebedarf kontinuierlich erst auf 2000, dann auf 1500 und schließlich auf 1250 Watt gesenkt werden. Wissenschaftliche Studien berechneten, dass wir dafür etwa wieder so konsumieren müssten wie 1985. Aber die Pionier*innen aus vielen „Reallaboren“ widersprachen dieser Orientierung an der Vergangenheit – in solidarischen Produktionsgemeinschaften, Ökodörfern und genossenschaftlichen Unternehmen lebten sie schon eine umwelt- und sozial gerechte Wirtschaftsweise mit weniger Watt. Diese Suche nach neuen Lebens- und Wirtschaftsformen nahm dann weiter Fahrt auf durch die Versuchsregionen „Gutes Leben“ in den alten Braunkohlerevieren und den Süd-Nord-Partnerkommunen, einem Programm zum Austausch von klimagerechten Techniken und Lebensweisen zwischen globalem Süden und Norden.

Den verbleibenden Energiebedarf CO2-frei zu decken war zwar immer noch eine Herausforderung, aber bei uns im Stromsektor gab es mit den erneuerbaren Energien schon gute Alternativen und die Konzepte zum Umgang mit fluktuierenden Quellen (Windkraft, Photovoltaik) gab es 2020 auch schon. Die Frage war daher nicht so sehr ob, sondern wie wir Produktion und Verteilung von Strom CO2-frei organisieren konnten. Letztendlich sind wir dabei pragmatisch vorgegangen, haben das vorhandene Stromnetz genutzt, wenn es passte und dezentrale Lösungen für Gebiete gefunden, die sich dafür entschieden hatten.

„Das mit den Profiten war auch ziemlich schnell vorbei, als klar wurde, dass all die fossile Energieinfrastruktur wegen Ökosteuern, Emissionsbudgets und sinkender Wattgrenze ziemlich wertlos war. Die Unternehmen gingen daraufhin pleite und die Energieversorgung drohte zusammen zu brechen.“

Ich bin stolz, bei dieser ganzen Entwicklung mit geholfen zu haben und finde meine Arbeit auch immer noch sehr sinnvoll. Vor allem im Vergleich zu früher, als ich dafür da war, die Profite von irgendwelchen Aktienbesitzer*innen zu sichern. Das mit den Profiten war auch ziemlich schnell vorbei, als klar wurde, dass all die fossile Energieinfrastruktur wegen Ökosteuern, Emissionsbudgets und sinkender Wattgrenze ziemlich wertlos war. Die Unternehmen gingen daraufhin pleite und die Energieversorgung drohte zusammen zu brechen.

Glücklicherweise gab es schon genug Kommunen und Städte, die Kraftwerke und Netze zurückgekauft und ökologisch umgestaltet hatten. Diese Erfahrungen führten dazu, dass die Bundesregierung die Kommunen beim Rückkauf der lokalen Energieversorgung unterstützte. Die Kommunen übernahmen die Aufgabe, aber nur unter dem Vorbehalt, dass die Stromversorgung zukünftig der Daseinsvorsorge dienen sollte, mit kostenlosen Grundbudgets für alle Menschen. Ich bin auch deswegen froh über diese Entwicklung, weil ein umweltfreundliches, vollkommen erneuerbares Energiesystem viel leichter zu steuern ist, wenn es gemeinschaftlich geplant werden kann und nicht ein schwer berechenbarer Markt zuständig ist.

Und auch mein Nerdkollektiv werde ich vermissen. Wir sind eins von fünf Teams für Nordosteuropa und die Stimmung ist eigentlich immer gut. Das hat auch gute Gründe. Einerseits war für mich persönlich die Einführung der Frauenquote für E-Nerds 2035 natürlich toll, vorher war ich doch etwas alleine. Andererseits sind mit der Einführung des bedarfsgerechten Lohnsystems all die Leute ausgestiegen, die vor allem wegen der guten Karrierechancen und Gehälter dabei waren, letztendlich aber Blindleistung nicht von Wirkleistung unterscheiden konnten, und daher eher Scheinleistung ablieferten. Jetzt hab ich nur noch Kolleg*innen, die sich aus Leidenschaft um das hiesige Energiesystem für 300 Millionen Menschen kümmern.

Und trotzdem höre ich auf, einfach weil ich mal etwas ganz anderes machen will und ich mir seit der Einführung der allgemeinen Daseinsvorsorge auch keine Sorgen mehr um meine finanzielle Zukunft machen muss. Vielleicht reise ich mal ein bisschen, vielleicht als Passagierin auf einem dieser Segel-Containerschiffe zu unserer Partnerkommune in Tansania. Bin gespannt, wie die ganzen Techniken im Original aussehen, die wir übernommen haben.

Das Konzeptwerk Neue Ökonomie führte die Zukunftswerkstatt im Rahmen des Projekts „Zukunft für alle – ökologisch. gerecht. machbar“ durch. In den nächsten Monaten werden weitere Zukunftswerkstätten zu verschiedenen Themenbereichen wie Mobilität, Landwirtschaft, Wohnen, globaler Handel, Finanzsystem, oder Bildung stattfinden.