Cookies?

Wir würden Deinen Besuch gern in unsere Statistik aufnehmen. Du bleibst anonym und es wird kein Profil erstellt. Wenn Du ablehnst, beschränken wir uns auf das Abspeichern von Cookies und Daten, die unvermeidlich für das Funktionieren der Seite sind.

Utopie

19. Dezember 2022 / Kai Kuhnhenn

Unser Kompass für die Visionsentwicklung

Wie kommen wir bis 2048 zum Guten Leben für alle?

Teil des Projekts: Zukunft für Alle

Lasst uns ins Jahr 2048 blicken. Wir wissen (noch) nicht, wie die Welt dann aussieht. Aber wir wissen, in welche Richtung es gehen soll: wir wollen eine soziale, ökologische, demokratische Gesellschaft, in der ein gutes Leben für alle möglich ist.

„Wir verlassen die vertraute Welt mit einem Kompass, der uns die Richtung anzeigt, in die wir uns begeben haben, sowie mit einem Kilometerzähler, der uns anzeigt, wie weit wir uns vom Ausgangspunkt entfernt haben, aber ohne eine Karte, die uns die gesamte Route vom Ausgangspunkt bis zum Ziel zeigt. (…) Wir können zwar nicht im Voraus wissen, wie weit wir gehen können, aber wir können wissen, ob wir uns in die richtige Richtung bewegen.“
Erik Olin Wright (2017): Reale Utopien. Wege aus dem Kapitalismus, Berlin, S. 171

Unser Vorschlag für einen Kompass richtet sich an fünf Grundwerten aus und soll als Leitfaden dazu dienen, über eine bessere Zukunft nachzudenken. Diese sollen alle gemeinsam berücksichtigt werden.

Demokratisierung

Wir wollen bis 2048 eine umfassende Demokratisierung der Gesellschaft. Auch wenn die parlamentarische Demokratie eine gesellschaftliche Errungenschaft ist, sind die Beteiligungsmöglichkeiten und -zugänge in ihr grundlegend beschränkt: Zum einen können sich viele Menschen aufgrund ihrer gesellschaftlichen Position nicht an demokratischen Entscheidungen beteiligen und sind vom Politikbetrieb frustriert. Beispielsweise verfügen Menschen mit hohen Einkommen und mehr formeller Bildung über mehr Ressourcen (wie Zeit und Kontakte), die ihnen eine aktive Rolle in der Zivilgesellschaft und demokratische Teilhabe erleichtern. Zum anderen ist der Teil der formellen demokratischen Beteiligung auf wenige Fragen und die Wahl von Parteien und Politiker*innen begrenzt.

Demokratische Selbstbestimmung bedeutet aber viel mehr, nämlich ein Interesse für politische Fragen und mit anderen Menschen gemeinsam zu handeln, das Leben kollektiv zu gestalten (Hannah Arendt: Vita Activa).

Wir wollen, dass alle Menschen an den Entscheidungen mitwirken können, die ihr Leben betreffen.

Daher soll die zu entwerfende Vision folgende Punkte berücksichtigen:

Diskriminierungsfreiheit

Heute ist die Gesellschaft geprägt von ungleichen Machtverhältnissen, wie Rassismus, (Hetero-)Sexismus, Klassismus, oder Ableismus2. Diese führen zu Bevorteilung (Privilegierung) und Benachteiligungen (Diskriminierung). Es gibt Menschen, die durch ihre besonderen Privilegien (z.B. weiß / männlich / heterosexuell / reich / nicht be_hindert) in einer machtvolleren Position gegenüber weniger privilegierten Menschen stehen. All diese Diskriminierungsformen sind miteinander verschränkt und überkreuzen sich (daher wird auch von Intersektionalität gesprochen, z.B. von Kimberley Crenshaw). Diese Machtverhältnisse prägen alle gesellschaftlichen Bereiche, wie Institutionen, zwischenmenschliche Beziehungen oder gesellschaftliche Vorstellungen. Dementsprechend gibt es ökonomische, soziale, ideologische, persönliche, rechtliche und politische Macht. Diese wirkt auf institutioneller (z.B, Gesetze, Arbeitsmarkt), zwischenmenschlicher (z.B. Ausgrenzung, sexuelle Belästigung) und ideologischer Ebene (z.B. Normen, Werte, Kultur).

Wir wollen eine diskriminierungsfreie Gesellschaft.

Da wir jede Form von Diskriminierung ablehnen, soll die zu entwerfende Vision folgende Punkte berücksichtigen:

Soziale Gerechtigkeit und Teilhabe

Heute ist die Gesellschaft – vor allem die Weltgesellschaft – zutiefst gespalten: unvorstellbarer Reichtum in der Hand Weniger steht massiver Armut bei Vielen gegenüber. Die Schere geht immer weiter auseinander. Auch wenn die meisten Menschen in Europa und der Bundesrepublik von der global durchgesetzten „imperialen Lebensweise“ profitieren, ist auch hier die Ungleichheit riesig und wächst. Dies steht nicht nur sozialer Gerechtigkeit als Wert an sich entgegen, sondern es vertieft die unterschiedlichen Machtverhältnisse. Das extrem ungleich verteilte Eigentum an Kapital, Wohnraum, Boden und Produktionsmitteln steht gleichberechtigter Teilhabe an der Gesellschaft entgegen und ist zutiefst undemokratisch.

Neben Eigentum ist auch Arbeit ungleich verteilt. Dies gilt besonders für Fürsorgetätigkeiten, die in der politischen und wirtschaftlichen Sphäre oftmals ausgeblendet, schlecht bezahlt und immer noch hauptsächlich von weiblich sozialisiert und migrantisierte Menschen verrichtet wird.

Wir wollen umfassende soziale Gerechtigkeit, das heißt gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe für alle.

Daher soll die zu entwerfende Vision folgende Punkte berücksichtigen:

Ökologische Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit

Das bestehende Verhältnis von Menschen zur Natur ist durch Aneignung und Herrschaft geprägt. Das derzeitige Wirtschaften basiert auf massiver Ausbeutung der Natur, um Gewinne zu erwirtschaften und um moderne, ressourcenintensive Lebensstile zu ermöglichen. Weiter steigende Emissionen, Artensterben und zerstörte Ökosysteme sind das Ergebnis eines wachsenden Ressourcenverbrauchs. Davon profitieren vor allem Unternehmen sowie Menschen in den früh industrialisierten Ländern und die globalen Mittel- und Oberschichten. Negativ betroffen sind dagegen weltweit vor allem materiell arme Bevölkerungsschichten. Meist fehlen die finanziellen Ressourcen, sich gegen die Folgen klimatischer Veränderungen, Bodendegradation oder die Zerstörung von Ökosystemen zu schützen.

Um die natürlichen Lebensgrundlagen langfristig und für alle Lebewesen zu erhalten, wollen wir eine sozial-ökologische Transformation aller Gesellschaftsbereiche.

Daher soll die zu entwerfende Vision folgende Punkte berücksichtigen:

Gutes Leben für alle

Neben den oben genannten materiellen oder physischen Bedingungen sollten wir uns für eine positive Zukunftsvision auch die Frage stellen: Was macht das Leben lebenswert? Und was sorgt im Gegensatz dazu für Entfremdung und Angst?

In der heutigen Gesellschaft stehen nicht nur soziale Ungleichheiten, Machtverhältnisse und Naturzerstörung einem Guten Leben entgegen, sondern auch viele andere Zwänge und Krisen moderner kapitalistischer Gesellschaften. So gehen viele Menschen in der Arbeitsgesellschaft Tätigkeiten nach, die sie selbst für sinnlos, unnötig oder schädlich halten („bullshit jobs“). Die Beschleunigung und Verdichtung in allen Lebensbereichen verschärft die Entfremdung von sich selbst, vom eigenen Tun und von Anderen. Dies löst Stress, Burnout und Unzufriedenheit bei vielen Menschen aus und führt zu einer dauerhaften Krise der Sorgetätigkeiten.

Gleichzeitig führt unser Wirtschaftssystem zu finanziellen Ängsten – Angst vor Arbeitsplatzverlust, Altersarmut und sozialem Abstieg während das konkurrenzbasierte Staatensystem zu Angst vor kriegerischen Auseinandersetzungen führt.

Schließlich ermöglichen digitale Technologien eine nie gekannte Weltreichweite, führen aber auch zu einer immer schnelleren Kommunikation, Vereinzelung, permanenter Überwachung, Messung und Effizienzorientierung des Alltags. Die Reichweite in der modernen Welt scheint sich unbegrenzt steigern zu lassen, es mangelt aber an Resonanz (Hartmut Rosa).

Wir wollen eine Gesellschaft, die Menschen ermöglicht, ein selbstbestimmtes, lebenswertes, freudvolles und gutes Leben zu führen.

Daher soll die zu entwerfende Vision folgende Punkte berücksichtigen:

Transformation

Die Vision, die wir in diesem Projekt entwickeln wollen, wird nur eine von vielen sein. Es bleibt zentral, andere emanzipatorische Ansätze ebenfalls anzuerkennen und uns in einem breiten Feld zu verorten. Denn wir haben nicht die Sicherheit, über die beste Vision zu verfügen und stellen uns die sozial-ökologische Transformation vielfältig vor.

Wir verstehen die sozial-ökologische Transformation nicht als Endzustand, sondern als Prozess, der durch vielfältige Konflikte geprägt ist und der so basisdemokratisch wie möglich gestaltet werden sollte. Sie vollzieht sich Schritt für Schritt auf der Grundlage bereits realisierter Veränderungen und mittels revolutionärer Realpolitik (Rosa Luxemburg). Diese zielt auf eine grundsätzliche Veränderung der gesellschaftlichen Funktionslogik ab, muss aber nicht über einen radikalen Bruch führen. Ein radikaler Bruch hin zu einer sozial-ökologischen Transformation ist in den aktuellen Verhältnissen sehr unwahrscheinlich und generell mit nicht absehbaren Folgen verbunden. Gleichzeitig reichen Reformen innerhalb des Systems nicht aus, um die oben genannten Ziele zu erreichen. Daher setzen wir darauf, in den
Räumen und Rissen innerhalb kapitalistischer Wirtschaften emanzipatorische Alternativen auf[zu]bauen und zugleich um die Verteidigung und Ausweitung dieser Räume zu kämpfen“ (

Erik Olin Wright 2017).

Die gemeinsam zu entwickelnde Vision soll Kämpfe verbinden. Sie soll Menschen Mut und Kraft geben, sich für die Transformation einzusetzen, damit diese Wirklichkeit werden kann.