Bausteine für Klimagerechtigkeit

Transformativ.
Solidarisch.
Machbar.
Wasserstoff und Klimagerechtigkeit
Zusammenfassung

„Grüner“ Wasserstoff aus 100% erneuerbaren Energien kann zu einer klimagerechten Wirtschaft beitragen, wenn sein Einsatz begrenzt und die Verwendungsbereiche klar politisch priorisiert werden.

Bei dem von Industrie, EU und Bundesregierung geplanten massiven Wasserstoffhochlauf drohen klimaschädliche Effekte – der vorgesehene Bedarf wird auf absehbare Zeit nicht „grün“ zu decken sein. Neue Erdgasnetze werden derzeit als angeblich „H2-ready“ legitimiert – eine starke Übertreibung, die einen fossilen Lock-in für Jahrzehnte bedeuten könnte. Nicht zuletzt drohen geplante Wasserstoffexport-Megaprojekte im globalen Süden koloniale Ungerechtigkeiten fortzusetzen: Ressourcen wie Geld, Flächen, Süßwasser und Rohstoffe werden für das Wachstum der europäischen Industrie reserviert statt für eine lokale, demokratische Energiewende. Solche Entwicklungen müssen durch starke gesetzliche Regelungen verhindert werden.

Wasserstoff erspart nicht den industriellen Rückbau, den eine wirklich sozial-ökologische Wirtschaft verlangt.

Wasserstoff ist in der öffentlichen Diskussion präsenter denn je. Die Bundesregierung forciert den Ausbau von LNG-Terminals für Flüssigerdgas-Importe per Schiff, um die Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern. Diese neuen fossilen Infrastrukturen werden mit Verweis auf eine zukünftige Umstellung auf „grünen“ Wasserstoff gerechtfertigt und als „H2-ready“ deklariert – das ist jedoch sehr fragwürdig. Schon im Koalitionsvertrag hat sich die Ampel-Regierung die Verdopplung des Wasserstoff-Kapazitätsziels für 2030 vorgenommen. Die lokale Wasserstoffproduktion aus Erneuerbaren wird laut Ampel 2030 jedoch nur rund ein Viertel des prognostizierten deutschen Wasserstoffbedarfs decken. Der Großteil müsste also entweder importiert oder wie bisher aus Fossilen erzeugt werden.

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Wasserstoff ist keine Wunderwaffe gegen die Klimakrise. Für „grünen“ Wasserstoff gibt es zwar sinnvolle Verwendung. Doch die Pläne der europäischen Industrie, sich über massive Importe aus dem globalen Süden zu versorgen, drohen jahrhundertelange Muster globaler Ungerechtigkeit fortzuschreiben. Bis diese Importe überhaupt Realität werden, soll viel klimaschädlicher fossiler Wasserstoff verbrannt werden.

Nüchtern betrachtet

Neben grünem Wasserstoff aus erneuerbaren Energien, werden auch „blauer“ und „türkiser“ Wasserstoff als klimafreundliche Lösung dargestellt.

Dabei soll das bei der Verbrennung anfallende CO2 abgespalten und gelagert bzw. weiterverwendet werden. Das wird nicht im größeren Rahmen wirtschaftlich möglich sein und ist mit zahlreichen Risiken behaftet. Allein bei Förderung und Transport des Erdgases entweicht klimaschädliches Methan. Nur „grüner“ Wasserstoff aus 100% Erneuerbaren kann sauber sein, dessen breitere Anwendung wird aber erst dann vertretbar sein, wenn der Strombedarf komplett mit Erneuerbaren gedeckt werden kann.

Da „grüner“ Wasserstoff nur begrenzt verfügbar und teuer sein wird, müssen die Einsatzgebiete klar priorisiert werden.

So könnte Wasserstoff in Zukunft zur Stabilisierung des erneuerbaren Strom- und Wärmenetzes eingesetzt werden oder für die Produktion von Grundstoffen in der Industrie. Im Verkehr könnte Wasserstoff im Langstrecken-Schwerlastbereich und bei Schiffen sinnvoll sein. Nicht sinnvoll dagegen ist der Einsatz zur (dezentralen) Gebäudeheizung oder im Individualverkehr, wo strombasierte Lösungen wesentlich energieeffizienter sind.

Von wegen H2-ready

Neue Erdgasinfrastrukturen werden damit gerechtfertigt, „H2-ready“ zu sein – doch das ist technisch übertrieben.

Neue Erdgasinfrastrukturen wie Pipelines und LNG-Terminals für Flüssiggasimporte per Schiff werden damit rechtfertigt, „H2-ready“ zu sein – also bereit für eine spätere Umstellung auf („grünen“) Wasserstoff. Doch das ist technisch übertrieben: Tatsächlich wäre meist ein erheblicher Umbau notwendig, der die Neubaukosten für Wasserstoffterminals übersteigen könnte.

Oft heißt „H2-ready“ nur, dass eine Beimischung von Wasserstoff zum Erdgas möglich wäre – die verzögert aber nur den Erdgasausstieg.

Auch infrastrukturell wäre der Umbau nicht sinnvoll, da die Verteilung des zukünftigen Wasserstoffbedarfs nicht dem heutigen Erdgasbedarf (z.B. für Heizungen und Stromerzeugung) entsprechen wird. Der mit hohen Umwandlungsverlusten verbundene Schiffstransport von Wasserstoff zu LNG-Terminals wird auf lange Zeit unwirtschaftlich bleiben; auch Regierungskreise rechnen vor allem mit zukünftigen Wasserstoffimporten über Pipelines.

Klimafalle H2?

Wasserstoff wird als zentraler Bestandteil einer klimaneutralen Wirtschaft verhandelt. Doch ein großflächiger Wasserstoff-Hochlauf kann die Klimaziele gefährden.

Die Masse macht's

Je stärker der Ausbau von Wasserstoffinfrastrukturen vorangetrieben wird, desto größer das Risiko, dass diese Nachfrage durch „grünen“ Wasserstoff und Importe allein nicht abzudecken ist. Dann kommen „blauer“, „türkiser“ oder „grauer“ Wasserstoff ins Spiel, deren CO2-Bilanz teils noch schlechter sein kann als von fossilen Brennstoffen.

Sauberer Wasserstoff?

Auf EU-Ebene versucht die Industrie, den Begriff des „clean hydrogen“ ins Spiel zu bringen. Das beinhaltet neben „grünem“ Wasserstoff auch „blauen“ und „türkisen“ Wasserstoff aus fossilem Erdgas oder „pinken“ aus Atomstrom. Diese sind keineswegs klimaneutral oder „sauber“.

Fehlende Zusätzlichkeit
Auch „grüner“ Wasserstoff kann nur klimafreundlich sein, wenn der benötigte erneuerbare Strom zusätzlich produziert wird. Noch sind Deutschland und mögliche Exportländer weit von 100% Erneuerbaren entfernt. Solange das so bleibt, belegt auch „grüne“ Wasserstoffproduktion knappe erneuerbare Stromkapazitäten – und kann so zu mehr fossilem Strom im Netz führen.
Grüne Illusionen für den Flugverkehr

Die Flugindustrie rechtfertigt ihre massiven Wachstumspläne mit wasserstoffbasierten E-Fuels, direkter Wasserstoffverbrennung oder Brennstoffzellen. Diese Technologien werden jedoch erst in Jahrzehnten marktreif sein. Auch ist unklar, wie der riesige Bedarf an erneuerbaren Energien für dieses Wachstum gedeckt werden soll. Schon heute bräuchte es das 2,5-fache weltweiter erneuerbarer Stromkapazitäten, um sämtliches Kerosin durch E-Fuels zu ersetzen.

Importe: Neokoloniale Praktiken?

Ungleiche Machtbeziehungen

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Durch die Wasserstoff-Importpläne Deutschlands und der EU drohen sich koloniale Muster fortzusetzen. Deutschland soll als Wasserstoff-Technologiestandort zum Weltmarktführer werden; afrikanische Länder liefern die Flächen und Naturressourcen. Durch derartige Abkommen werden ungleiche Machtbeziehungen fortgeschrieben.

Energiearmut und Energiewende vor Ort

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Großprojekte für „grünen“ Wasserstoffexport im globalen Süden beanspruchen dort die günstigsten Standorte für erneuerbare Energien. Das gefährdet die lokale Versorgung mit Erneuerbaren, zumal häufig ein Großteil der Haushalte noch gar nicht mit Strom versorgt wird. Bevor Energie exportiert wird, sollte erst die Versorgung der Bevölkerung mit erneuerbarem Strom sichergestellt werden.

Wer profitiert?

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Exportprojekte wie in der Wasserstoffbranche werden von Konzernen aus dem globalen Norden geplant und orientieren sich an deren Interessen. Vor Ort bleibt wenig von der Wertschöpfung, die attraktivsten Arbeitsplätze werden häufig an eingeflogene Fachkräfte aus Europa vergeben. Eine selbstbestimmte wirtschaftliche Entwicklung vor Ort wird so nicht unterstützt.

Lokale Kollateralschäden

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Nicht zuletzt gehen derartige Exportprojekte oft mit lokalen Kollateralschäden einher: Die Wasserstoffproduktion braucht viel Süßwasser, das in trockenen Regionen ohnehin knapp ist. Vorgesehen sind darum auch Meerwasserentsalzungsanlagen, deren Restprodukte ökologische Schäden verursachen. Auch Landnutzungskonflikte sind zu befürchten, wenn in großem Maße Flächen für Energieexporte beansprucht werden. Der → Gastbeitrag von Johanna Tunn und Tobias Kalt in unserem Dossier verdeutlicht diese Problematiken anhand von Beispielen aus Namibia und der DR Kongo.
Klimagerechte Forderungen

Wir möchten eine Haltung zu Wasserstoffpolitik formulieren, die Klimagerechtigkeit ernst nimmt:

Nur „grüner“ Wasserstoff aus 100% zusätzlichen erneuerbaren Energien ist überhaupt vertretbar. Zwischen den Einsatzgebieten muss politisch priorisiert und Wasserstoff sinnvoll ins Energiesystem eingefügt werden.

Eine klare rote Linie: Es dürfen keine fossilen Infrastrukturen mehr gebaut werden – egal, ob sie mit fadenscheinigen Argumenten als „H2-ready“ verkauft werden.

Degrowth first, hydrogen second: In kaum einer Branche wird so deutlich, dass eine wirklich „grüne“ Produktion beschränkt sein muss. Über die Verteilung des knappen Guts muss auch im Sinne sozialer Gerechtigkeit politisch entschieden werden. Die Flugindustrie etwa muss schrumpfen anstatt sämtlichen verfügbaren Wasserstoff für das Flugvergnügen Weniger zu beanspruchen.

Kriterien für eine nachhaltige, sozial gerechte Wasserstoffimportpolitik haben verschiedene Akteur*innen in Deutschland bereits aufgestellt, z.B. die Rosa-Luxemburg-Stiftung, der Sachverständigenrat für Umweltfragen oder der Nationale Wasserstoffrat.

Letztlich steht die vorherrschende Idee einer Wasserstoffwirtschaft für ein strukturelles Weiter-so. Es braucht aber genau das Gegenteil: eine sozial-ökologische Transformation, in deren Verlauf sich Machtverhältnisse deutlich verschieben – innerhalb Europas und in den Nord-Süd-Beziehungen. Darin kann „grüner“ Wasserstoff eine überschaubare Rolle spielen.

Wasserstoff und Klimagerechtigkeit

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Gerechte Wohnraumverteilung

Vergesellschaftung als Basis gerechter & ökologischer Wohnraumverteilung

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Wir brauchen Städte für Menschen – nicht für Autos

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