Wasserstoff und Klimagerechtigkeit: Kein schöner Gas?
Wasserstoff wird als Klimalösung häufig überbewertet. Durch die europäische Importpläne droht sogar ein erneuerter Energiekolonialismus.
Wasserstoff erlebt derzeit einen regelrechten Hype. Die Ampel will die erst 2020 in der Nationalen Wasserstoffstrategie beschlossenen Ausbauziele für 2030 verdoppeln. Auch die EU forciert infolge des Ukraine-Kriegs ihre Importpläne. Auf das eigentlich farblose Gas H2 wird längst ein eigenes Farbspektrum projiziert: Grauer Wasserstoff aus Erdgas, blauer aus Erdgas mit CO2-Abscheidung, pinker aus Atomenergie, grüner aus Erneuerbaren usw. Sportwagenfans etwa möchten den röhrenden Verbrenner-Sound über wasserstoffbasierte „e-Fuels“ retten. Die sind im Vergleich zum Elektroauto ineffizient und teuer, doch die FDP lässt ihre Klientel nicht im Stich.
Vor allem aber wittert die Gasindustrie ihre Überlebenschance – nicht nur durch „graues“ H2, sondern auch durch Umwidmung ihrer Transportnetzwerke. Die entlang der Küsten geplanten LNG-Terminals für Flüssiggasimporte sollen laut Regierung „H2-ready“ sein, also bereit für eine spätere Umstellung auf Wasserstoff. Vorschriften gibt es dafür aber keine. Laut Expert*innen wäre eine ernsthafte Umrüstung, über die Beimischung einiger Prozent Wasserstoff in die Erdgasnetze hinaus, aufwändig und teuer. Viele raten, gleich neue Wasserstoffnetze zu bauen, die sich am zukünftigen Wasserstoffbedarf statt am heutigen Erdgasbedarf orientieren.
Klar ist: Nur „grüner“ Wasserstoff aus erneuerbaren Energien kann überhaupt je klimafreundlich sein. Die Industrie redet dagegen gern von „clean“ oder „low-carbon hydrogen“, das alles von Atomenergie bis zu fossilem H2 mit bis heute nicht marktreifer CO2-Verklappung (CCS) einschließen soll. Selbst mit CCS aber wäre bei Produktion und Transport schon reichlich klimaschädliches Methan entwichen. „Grüner“ Wasserstoff wiederum wird knapp und teuer bleiben, da er zusätzlichen erneuerbaren Strom braucht – zusätzlich zu einem noch längst nicht erreichten 100% erneuerbaren Strommix. Daher fordern Verbände eine politische Priorisierung der Einsatzgebiete, etwa als Energiespeicher oder für bestimmte Industrieprozesse, aber nicht in besser direkt elektrifizierbaren Pkw oder Heizungen. Fragwürdig sind ebenso die Pläne der Flugindustrie, fortgesetztes massives Wachstum des Flugverkehrs über Wasserstofftechnologien zu realisieren, die noch einige Jahrzehnte bis zur Marktreife benötigen werden, nicht alle klimaschädlichen Effekte des Fliegens neutralisieren und einen gigantischen Energiebedarf nach sich ziehen würden.
All das ist wissenschaftlich relativ unstrittig und relativiert den „grünen“ Wasserstoffhype erheblich. Wer zu viel auf Wasserstoff setzt, wird ihn am Ende direkt oder indirekt aus fossilem Strom erzeugen oder „grau“ von der Gasindustrie beziehen müssen – genau deren Kalkül.
Doch die Industrie rechnet noch mit einem ganz anderen Faktor: geoökonomische Macht.
Selbst bei ausgewähltem, nur „grünem“ Wasserstoffeinsatz wird angenommen, dass ein Großteil des deutschen und europäischen Bedarfs importiert werden müsste. Als Exportländer sind neben der nun wohl erst einmal ausscheidenden Ukraine vor allem nord- und westafrikanische Staaten vorgesehen, in denen meist ein hoher Bevölkerungsanteil bislang noch gar keinen Zugang zu Strom hat, geschweige denn zu erneuerbarem. Nun planen dort westliche Konzerne mit Unterstützung staatlicher Förderprogramme wie „H2Global“ allerlei Megaprojekte, die massenhaft erneuerbaren Strom erzeugen, in Wasserstoff umwandeln und per Pipeline oder Schiff nach Europa schicken sollen. Weitere Hauptzutat ist das in vielen dieser Regionen ohnehin knappe Süßwasser. Bei der Alternative Meerwasserentsalzung drohen wiederum ökologische Folgeprobleme durch die übrigbleibende Schlacke, die meist ins Meer zurückgekippt wird. Für die Energieerzeugung werden große Flächen beansprucht, darunter die günstigsten Standorte für Erneuerbare – nicht für die Ernährung oder Energieversorgung der lokalen Bevölkerung, sondern damit die EU-Industrie mit neuem Treibstoff weiterwachsen kann.
Europa will also weiterhin selbstverständlich über die Ressourcen des globalen Südens verfügen. Umweltverbände und selbst der Nationale Wasserstoffrat haben zwar Kriterienlisten für faire Importe entworfen, doch unter den gegebenen Machtverhältnissen drohen diese wie so häufig als hübsche Ornamente zu enden. Wasserstoffimporte werden schon infrastrukturell kaum als kleine Fairtrade-Projekte realisierbar sein – und dass sie möglichst billig sein sollen, ist nun mal Ausgangspunkt des Vorhabens.
Wasserstoff ist ein relevanter Baustein, aber nicht die magische Energie- und Klimalösung. Zur Rechtfertigung neuer fossiler Gasanlagen taugt er ebenso wenig wie als Schlüssel zu einer plötzlich solidarischen Nord-Süd-Zusammenarbeit – oder zur technischen Umgehung überfälliger gesellschaftlicher Veränderungen. Aus Klimagerechtigkeitsperspektive ergibt sich die Forderung: Degrowth first, hydrogen second. Auf einen begrenzten, gezielten Einsatz mit strengen Importkriterien kommt es an.
Eine andere Fassung dieses Textes erschien am 15.07.2022 im nd.
Mehr zu diesen Zusammenhängen und den Handlungsmöglichkeiten für soziale Bewegungen erfahrt ihr in unserem Dossier Wasserstoff und Klimagerechtigkeit.
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Wasserstoff ist keine Wunderwaffe gegen die Klimakrise. Für „grünen“ Wasserstoff gibt es zwar sinnvolle Verwendung. Doch die Pläne der europäischen Industrie, sich über massive Importe aus dem globalen Süden zu versorgen, drohen jahrhundertelange Muster globaler Ungerechtigkeit fortzuschreiben. Bis diese Importe überhaupt Realität werden, soll viel klimaschädlicher fossiler Wasserstoff verbrannt werden.
Autor
Lasse Thiele (er)
Team Klimagerechtigkeit
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