Wirkliche politische Macht liegt nicht in den Parlamentsgebäuden
Ein Interview mit der Regisseurin Johanna Schellhagen
von Nadine McNeil und René Haase
02. März 2021
labournet.tv ist ein Projekt des gemeinnützigen Content e.V. Das Frauenkollektiv betreibt seit 10 Jahren ein online Archiv für Filme über Streiks, Arbeitsbedingungen und Klassenkämpfe. Zur Zeit arbeitet labournet.tv an ihrem zweiten größeren Filmprojekt „The Loud Spring“. Die Regisseurin Johanna Schellhagen spricht mit uns darüber, was die Klimagerechtigkeitsbewegung von der historischen Arbeiter*innenbewegung lernen kann, was passieren muss um die Zerstörung der Biosphäre aufzuhalten und warum wichtig ist, wo die nächste Nudelfabrik steht.
KNOE: Johanna, du machst seit 20 Jahren politische Dokumentarfilme, seit der Gründung von labournet.tv vor 10 Jahren bist du dort aktiv. Was hast du zuvor gemacht und wie kam es zu der Zusammenarbeit mit labournet.tv?
JS: Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der es extreme Armutserfahrungen gab, und hatte daher schon als Kind das Gefühl, dass die Verhältnisse so wie sie sind nicht okay sind. Nach Studium und Jobs in der Filmbranche wollte ich versuchen, etwas Sinnvolles zu tun. Ich fing in meiner Freizeit an, Dokumentarfilme zu machen und gründete mit Freunden zusammen den Internetsender kanalB.org, wo wir per Video u.a. von Mobilisierungen der globalisierungskritischen Bewegung berichteten. 2009 hat uns die Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt gefragt, ob wir ein Archiv für Filme aus der Arbeiter*innenbewegung aufbauen wollen. Das machen wir seitdem, neben der Arbeit an den Filmen.
KNOE: Ihr bildet zu dritt ein Frauenkollektiv, habt euch aber einem Thema angenommen, das oft als vermeintliche Männerdomäne gilt: der Arbeitskampf. In eurem letzten Film „Luft zum Atmen“ portraitiert ihr eine Gruppe von männlichen Oppositionellen, die den Opel Betrieb in Bochum aufgemischt haben. Ergibt sich daraus für euch ein Spannungsverhältnis oder welchen Blick habt ihr darauf?
JS: Sexismus ist kein Thema, das besonders virulent wäre unter den Leuten, die sich mit Arbeitskämpfen beschäftigten, oder unter (männlichen) Arbeitern. Ich würde eher sagen, das Problem ist gleichmäßig über die Gesellschaft verteilt. Etliche Männer in der linksgewerkschaftlichen Szene und überall sonst haben es versäumt, sich von den Frauen* in ihrer Umgebung beibringen zu lassen, wie sie ihren eigenen Alltags-Sexismus erkennen und abmildern können, indem sie z.B. auf gleiche Redezeit achten. Sie verbarrikadieren sich gegen feministische Errungenschaften und Umgangsformen, anstatt dass sie versuchen, etwas dazu zu lernen.
KNOE: Wie geht ihr damit praktisch um?
JS: Als engagierte Frauen* in diesem wie allen anderen politischen Milieus müssen wir manchmal mehrere Kunststücke gleichzeitig hinkriegen: Wir müssen uns erstens gegen den Sexismus wehren, seien das Übergriffe, Abwertung, Ignoriert-werden oder Ausschluss. Zweitens müssen wir den Sexismus ansprechen und kritisieren – was sehr kräftezehrend ist. Und drittens müssen wir diese Männer trotzdem als Genossen im Kampf gegen Kapitalismus und Ausbeutung sehen und den Wert ihres Engagements anerkennen, also nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Das ist nicht leicht und wir brauchen schon ein gutes Nervenkostüm, um das halbwegs hinzukriegen. Ich verstehe alle Frauen*, die nicht mehr in gemischten Politgruppen arbeiten wollen. Göttinseidank wird es besser. Je jünger die Männer sind, desto weiter verbreitet ist anti-sexistisches Verhalten. Es macht mich wirklich glücklich das zu sehen.
KNOE: Wir wollen mit euch über euer aktuelles Projekt sprechen: den Dokumentarfilm „The Loud Spring“. Hier geht es um die Frage, wie sich der Kampf gegen die Zerstörung des Planeten so führen lässt, dass wir eine Chance haben, ihn zu gewinnen. Wenn man euer Archiv durchstöbert, stößt man bisher nicht auf viel Material zum Thema Klimakrise oder Klimagerechtigkeit. Woran liegt das und wie seid ihr schließlich zum Thema Klimakrise gekommen?
JS: Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich auch, wie viele Menschen, die vor allem das Klassenthema umtreibt, das Thema Umweltschutz sehr lange ignoriert habe. Jetzt geht das in Anbetracht der heranrollenden Katastrophe nicht mehr und wir dachten, dass wir eben – weil wir einen anderen politischen Background haben als viele Menschen in der Klimabewegung – mit einigem nützlichen Wissen in Kontakt gekommen sind, das wir aufbereiten und der Klimabewegung zur Verfügung stellen können.
Trailer zum Film // Quelle: https://de.labournet.tv/loud-spring-trailer
KNOE: Die Gewerkschaften und auch basisgewerkschaftliche Bewegungen haben sich ja insgesamt bisher wenig für die Klimafrage interessiert – das ändert sich gerade. Eure Annahme im Film ist, dass die Klimagerechtigkeitsbewegung von erfolgreichen Kämpfen der Lohnabhängigen lernen kann. Aber war es aufgrund des Schweigens der Gewerkschaften nicht auch notwendig, dass die Klimabewegung ihren eigenen Weg einschlägt?
JS: Ja, klar, die Klimabewegung hat selbstverständlich ihren eigenen Weg. Aber sie sollte unseres Erachtens von der historischen Arbeiter*innenbewegung lernen, welche faktische, materielle Macht von der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel ausgeht. Wir möchten in dem Film dafür argumentieren, dass wirkliche politische Macht nicht in Parlamentsgebäuden liegt, sondern dort, wo das hergestellt wird, was uns alle am Leben hält.
KNOE: Der Trailer ist sehr bewegend und mutet hoffnungsvoll an. Man bekommt den Eindruck, dass der Film auf die Frage ob und wie wir es schaffen die Klimakrise aufzuhalten auf jeden Fall eine Antwort liefern wird. Ist das so?
JS: Ja, wir machen den Film, weil wir hoffen, einen Beitrag leisten zu können für Leute, die ernsthaft über die Frage nachdenken, wie wir den Klimawandel aufhalten können. Viele würden wahrscheinlich zustimmen, dass wir, um die Zerstörung der Biosphäre aufzuhalten, anfangen müssen Dinge zu produzieren, weil wir sie brauchen und nicht, weil man mit ihrem Verkauf Profite machen kann. Von dieser Überlegung ausgehend, wollen wir skizzieren, wie wir das derzeitige Wirtschaftssystem ersetzen könnten durch eines, in dem die Dinge wegen ihres Gebrauchswertes produziert werden, wo letztlich die Leute selber entscheiden, was und wie produziert werden soll. Sie könnten sich dann dafür entscheiden, umweltschädliche Produktion sein zu lassen und sich kollektiv auf die schon jetzt unvermeidlichen Folgen des Klimawandels vorzubereiten. In dem Film geht es aber nicht nur darum, wie so ein System aussehen könnte, sondern vor allem auch wie das von unten durchgesetzt und etabliert werden könnte.
KNOE: Es geht euch also um Machtfragen?
JS: Anders als die meisten Filme über Klimawandel klammern wir die Machtfrage nicht diskret aus, sondern stellen sie ins Zentrum. Denn letztlich ist das Problem nicht, dass wir nicht wüssten was zu tun ist, um die Biosphäre zu retten, sondern, dass es nicht passiert obwohl wir es wissen. Das Besondere an unserem Film ist also, dass wir erstens die Machtfrage nicht ausklammern und zweitens, dass wir die Frage der Transition hin zu einer anderen Gesellschaft und Wirtschaftsordnung nicht abstrakt und theoretisch abhandeln, sondern konkret, mit Hilfe von animierten Sequenzen. Wir brauchen eine ausreichend konkrete Vorstellung einer möglichen besseren Zukunft, um uns dahin aufmachen zu können.
KNOE: Visionen für eine bessere Zukunft aufzuzeigen halten wir im Konzeptwerk auch für zentral. Wir werden aber auch häufig gefragt, was man denn jetzt schon konkret tun kann. Was würdest du antworten? Was können wir zum Beispiel tun, während wir noch auf die Veröffentlichung von „The Loud Spring“ warten?
JS: Es passieren die ganze Zeit total gute, wichtige Dinge: Waldbesetzungen, Demos, direkte Aktionen gegen die Kohleindustrie, Demonstrationen, wissenschaftliche Forschung etc. Die Klimabewegung macht super tolle Arbeit. Was man ergänzend vielleicht machen sollte, ist, sich mal umzuschauen in der eigenen Region und herauszufinden wo und wie die essentiellen Dinge produziert werden und welche und von wo her überlebenswichtige Produkte, Energie oder Rohstoffe importiert werden. Oder sich mal versuchen klar zu machen, welche Produktion überflüssig oder schädlich ist und wer eigentlich in den lebenswichtigen Sektoren arbeitet. Kenne ich eine Person, die im örtlichen Umspannwerk arbeitet? Die weiß, wie man Windräder herstellt? Wo steht die nächste Nudelfabrik? Woher kommt eigentlich das Internet? Wir brauchen einen „materialistic turn“ in der Klimabewegung, eine Hinwendung zur Produktion und ein Verständnis vom Zusammenhang zwischen Produktion und gesellschaftlicher Macht.
Johanna Schellhagen ist Regisseurin und macht seit 20 Jahren Dokumentarfilme zu Arbeitskämpfen und zur globalisierungskritischen Bewegung. Seit der Gründung von labournet.tv vor 10 Jahren ist sie Teil der Gruppe.
Nadine McNeil ist im organisatorischen Bereich des Konzeptwerks angestellt und engagiert sich für die Verknüpfung von sozialen und ökologischen Kämpfen.
René Haase ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit im Konzeptwerk und betreut das Bildungsteam.
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