Sozial-ökologische Steuerpolitik

„Ohne uns steht die Welt still“

Warum wir am 8. März für Vergesellschaftung von Care streiken müssen

Seit Jahren kommen weltweit Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans* und agender Personen (kurz: FLINTA*) am 8. März zusammen, um auf Ungerechtigkeit, Gewalt, gar auf Femizide – auf Morde an Frauen und Personen, welche als Frauen gelesen werden – aufmerksam zu machen. Die Wut ist groß! Gründe gibt es viele. Zu viele.

Dabei werden vielfältige Forderungen laut: Von gleichem Lohn für gleiche Arbeit, reproduktive Gerechtigkeit, der Bekämpfung von Gewalt gegen FLINTA* bis zu mehr politischer Mitbestimmung und der Anerkennung von Care-Arbeit als Arbeit. All diese Forderungen vereint, dass sie wesentliche Aspekte unserer Gesellschaft betreffen. Wie wachsen Menschen auf? Wer kann wie über den eigenen Körper entscheiden? Welche Arbeit wird wie wertgeschätzt und anerkannt?

Insbesondere Fragen um Care-Arbeit rücken dabei immer wieder in den Mittelpunkt der Debatte. Der 8. März ist als feministischer Kampftag eine bedeutende Plattform, um die Wichtigkeit von Care-Arbeit zu unterstreichen. Vor allem wenn unbezahlte Sorgearbeit bestreikt wird und sie auf Demonstrationen anders, nämlich kollektiver, organisiert wird. Dieser Blogbeitrag greift die Debatten um Vergesellschaftung, commoning care und Arbeitszeitverkürzung auf, um mögliche Lösungswege aus der Care-Krise aufzuzeigen.

Was ist Care-Arbeit? Und wie hängt sie mit Kapitalismus zusammen?

Care-Arbeit, oft auch Sorgearbeit genannt, meint zum einen die Fürsorge für andere Menschen, sei es für Freund*innen, Kinder, Nachbar*innen, Verwandte oder Kolleg*innen. Sie umfasst dabei emotionale und praktische Unterstützung, z.B. für Menschen mit Behinderung oder bei psychischen Krisen, Diskriminierungserfahrungen oder Konflikten, und die Pflege und Versorgung von älteren und kranken Menschen. Auch Tätigkeiten wie Wäsche waschen, Windeln wechseln, einkaufen, kochen und Wunden versorgen zählen dazu. Außerdem umfasst Care-Arbeit das Kümmern um den Planeten und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen.

All diese Tätigkeiten werden oft unsichtbar gemacht und nicht als Arbeit benannt. Sie werden nahezu selbstverständlich von bestimmten Personen, zum großen Teil FLINTA*, erwartet. Diese Unsichtbarmachung und Abwertung ist angelegt im kapitalistischen Gesellschaftssystem: Profit wird darin nämlich auf Kosten anderer gemacht.

Im wachstumsorientierten Kapitalismus soll zum einen bezahlte Sorgearbeit ständig schneller und effizienter geleistet werden. Dabei folgt Care-Arbeit einer anderen Logik und kann oft schlicht nicht „produktiver“ oder schneller gemacht werden: Das Füttern einer bettlägerigen Person dauert seine Zeit, ebenso wie der Pfirsichbaum mehrere Jahre braucht, um Früchte zu tragen. Care ist also nur begrenzt profitfähig, wird aber im wachstumsorientierten Kapitalismus in diese Profitlogik gepresst.

Ein Blick in Krankenhäuser, Beratungsstellen oder die Altenpflege, also Bereiche der bezahlten Sorgearbeit, offenbart: Effizienzdenken und Profitorientierung führen hier zu einer schlechten Versorgung. Die Folge ist: Kaum Pausen, Unterbesetzung, Stress im Alltag vieler Beschäftigter. Dazu kommt auch noch die Sparpolitik der Bundesregierung der letzten Monate, die vielen sozialen Einrichtungen an die Knochen geht. Dabei würden beispielsweise 300.000 Pflegekräfte in den Beruf zurückkehren, wenn die Arbeitsbedingungen besser wären, was dem Personalmangel entgegenwirken könnte (siehe: Studie der Hans-Böckler-Stiftung).

Unbezahlte Care-Arbeit ist zum anderen die Grundlage für das Funktionieren der Gesellschaft. Wenn plötzlich nicht mehr zugehört, nicht mehr Essen gekocht oder der Abwasch gemacht wird, wird auch der reibungslose Ablauf der Erwerbsarbeit gestört. Doch auch in der bezahlten Care-Arbeit legen Menschen regelmäßig ihre Arbeit nieder, für bessere Arbeitsbedingungen. Der Streik wird als Druckmittel genutzt, Forderungen stark zu machen und Machtverhältnisse zu verschieben. Im Streik wird erinnert und darauf hingewiesen, wie wichtig Sorgearbeit ist: Nämlich lebensnotwendig für alle, immer. Ohne Care keine Gesellschaft.

Sorgearbeit bestreiken? Sorgearbeit vergesellschaften!

Am feministischen Kampftag tragen FLINTA* den Streik laut mit Kochtopf und Banner auf die Straße. Oder weigern sich, von ihnen erwartete Sorgearbeit zu machen. Der 8. März kann daher ein Resonanzraum sein, in dem wir kollektiv danach suchen, wie wir Care-Arbeit solidarischer organisieren können. Eine mögliche Strategie ist es, sie zu vergesellschaften. Erste Anfänge sehen wir dafür, wenn auf Demonstrationen Kinderbetreuung und Mittagessen kollektiv organisiert wird. Dann gibt es Schichtlisten, solidarische Beiträge und Besprechungen für alle. Was ist jedoch mit der notwendigen Sorgearbeit im Aufwachsen von Kindern, wenn nicht 8. März ist?

Pia, Erzieherin in einem Kindergarten in Südbaden, erzählt uns von ihrer Arbeit. Im Spagat zwischen den Erwartungen der Politik, Eltern und den Bedürfnissen der Kinder, berichtet sie davon, dass Kindergärten mittlerweile nur noch Versorgungszentren sind, in denen das Allernötigste funktioniert. Sie sieht den Grund dafür darin, dass immer mehr Eltern und Bezugspersonen doppelt Vollzeit arbeiten müssen, um über die Runden zu kommen. So wird die Arbeit an Einrichtungen ausgelagert: „Irgendjemand muss es ja machen“. Sie berichtet davon, wie Eltern den Druck durch die Erwerbsarbeit an Erzieher*innen weitergeben und auf ihr Recht auf einen Kitaplatz bestehen. Rechtlich gesehen besteht ein Anspruch auf einen Kitaplatz ab einem Jahr, die Realität ist leider eine andere, da nicht genügend Plätze vorhanden sind. Irgendwie muss unter diesen Anforderungen alles funktionieren, auch die Kinder. Pia meint, dass mehr Mitbestimmung für Kinder auch heißen sollte, die Frage zu stellen, wie lange Kinder überhaupt in der Einrichtung bleiben wollen.

Pias Wunsch nach mehr Mitbestimmung und Zeit lässt sich einordnen in zentrale Elemente von einer Vergesellschaftung von Sorgearbeit: Doppelte Entprivatisierung und Demokratisierung. Darüber schreiben Barbara Fried und Alex Wischnewski in ihrem Beitrag im Buch „Öffentlicher Luxus“. Mit doppelter Entprivatisierung umschreiben sie, dass es notwendig ist, Care-Arbeit aus den privaten Haushalten und Kleinfamilien zu lösen, aber auch aus den Fängen der profitorientierten Unternehmen. Sorgearbeit soll in einem breiteren gesellschaftlichen Kontext verortet werden, der jenseits von Privatem und Markt liegt. Unter Demokratisierung verstehen Fried und Wischnewski, dass Entscheidungen über die Gestaltung von Care-Arbeit gemeinschaftlich und demokratisch getroffen werden: Sie schlagen vor in Einrichtungen Care-Parlamente und -Räte zu gründen, in denen die Care-Arbeiter*innen und auch Empfänger*innen miteinander sprechen können. Essenzieller Teil von diesen Aushandlungsprozessen ist eine Analyse des Bedarfs nach Care-Arbeit. Außerdem bedeutet eine Demokratisierung von Sorgearbeit auch Kindergärten, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und andere Orte zugänglicher zu machen: für Menschen mit wenig Deutschkenntnissen, für Menschen ohne sicheren Aufenthaltsstatus, für trans* inter* und nicht-binäre Menschen, für Menschen mit Rassismuserfahrungen oder auch Menschen mit wenig Einkommen. Mit der Vergesellschaftung von Care-Arbeit könnte diese Arbeit in einen breiteren sozialen und politischen Kontext verankert werden, der auf solidarischen und demokratischen Prinzipien basiert und die Bedürfnisse aller Betroffenen berücksichtigt.

Wie kann eine praktische Umsetzung aussehen, die Care-Arbeit aus isolierten und kommerzialisierten Strukturen herausholt? Wie sieht es mit Blick auf Kindergärten aus? Wäre die Auslagerung von unbezahlter Care-Arbeit in Kitas ein Schritt in Richtung Vergesellschaftung? Wer würde davon profitieren?

Commoning Care und Arbeitszeitverkürzung

Das Konzept von commoning care denkt Vergesellschaftung praktisch weiter, indem es konkrete Praktiken der gemeinschaftlichen Nutzung und Organisation von Care fordert. Sorge als common (dt. Gemeingut) zu begreifen bedeutet, damit verbundene Ressourcen – bestehend aus Zeit, Wissen und Fähigkeiten – in kollektive Verfügung zu bringen. Ausgangspunkt von care commons sind unsere geteilten Bedürfnissen nach Sorge, die durch unterschiedliche solidarische und selbstorganisierte Institutionen abgedeckt werden. Ein Beispiel hierfür sind grupos de crianza (dt. Eltern- oder Betreuungsgruppen) in Spanien: Selbstorganisierte Care-Netzwerke zwischen Elternteilen, insbesondere Müttern, die sich in der Begleitung und Erziehung von Kindern unterstützen (mehr dazu in Zechner, 2021). Zentral in diesen care commons ist die demokratische und machtkritische Organisation von Entscheidungsprozessen, bei denen alle Beteiligten mit ihren Bedürfnissen einbezogen werden sollen.

Manuela Zechner schlägt mit commoning care konkret vor, Kinderbetreuung gemeinschaftlicher zu organisieren. Das heißt: Die Betreuung von Kindern durch Einzelpersonen geht in die Verantwortung der Gemeinschaft als Ganzes über. Das Konzept sieht vor, dass Kinderbetreuung durch kooperative Strukturen organisiert wird, wie zum Beispiel Eltern-Kind-Initiativen, Genossenschaften oder gemeinschaftliche Kinderbetreuungszentren. In diesen Strukturen arbeiten Bezugspersonen der Kinder und andere Betreuungspersonen zusammen, um die Verantwortung für die Betreuung von Kindern zu teilen und gemeinsame Ressourcen zu nutzen. Entscheidungen und ihre Umsetzung werden hierbei zwischen allen Beteiligten, auch den Kindern selbst, demokratisch getroffen.

Praktisch greifbar wird commoning care in den politischen Maßnahmen rund um die Sorgende Stadt in Barcelona (Ezquerra und Keller, 2022). Ein Teil davon ist das kommunale Kinderbetreuungsprogramm Concilia in Barcelona: Es setzt vor allem am Care-Bedarf von alleinerziehenden Müttern an, die nicht viel Geld und kein großes soziales Netzwerk haben. Das Programm stellt ihnen Kinderbetreuung unter der Woche nachmittags und am Wochenende zur Verfügung und ermöglicht ihnen so eine selbstbestimmtere Gestaltung des Alltags. Neben dem Programm wurden auch noch „Superilles socials bzw. Superilles de les cures“ („Soziale Superblocks“) geschaffen, die einzelne Gebiete Barcelonas zu Care-Vierteln transformieren. Darin gibt es soziale Einrichtungen und Selbsthilfegruppen für Care-Beschäftigte aber auch Beratungsstellen für Hausangestellte und Anlaufstellen für Familien.

Woher kommt die Zeit für solche Projekte?

Eine kollektive Arbeitszeitverkürzung (AZV) ist hierbei ein wichtiger Hebel, der neue Freiräume schaffen könnte. Wenn Menschen weniger Zeit für Erwerbsarbeit aufwenden, kann das Stress reduzieren und das Wohlbefinden erhöhen. Menschen hätten mehr Zeit für demokratische Teilhabe in selbstorganisierten Strukturen und Organisationen, wie Vereinen und Initiativen. Wenn eine AZV in einen kulturellen Wandel von Geschlechternormen eingebettet ist, führt sie – im besten Fall – zu einer Umverteilung von Sorgearbeit zwischen verschiedenen Geschlechtern. Wichtig wäre ihre Umsetzung mit vollem Lohn- und Personalausgleich. Das hieße: Menschen reduzieren ihre Erwerbsarbeitszeit von bspw. 40 Stunden auf 25 Stunden, kriegen jedoch denselben Lohn wie davor. Und um die freien 15 Stunden abzudecken, die sie weniger arbeiten, wird neues Personal eingestellt. Ziel davon wäre, persönlich verfügbare Zeit und Einkommen umzuverteilen und damit ein gutes Leben für alle, sowie einen sozial-ökologischen Umbau zu ermöglichen (siehe: Dossier Arbeitszeitverkürzung).

Was nun?

Der internationale feministische Kampftag bietet einen wichtigen Resonanzraum für Fragen rund um Care-Arbeit, neben vielfältigen Forderungen nach Selbstbestimmung, Zugängen und einem Ende von Gewalt und Diskriminierung. Indem wir die Wichtigkeit von Care-Arbeit sichtbar machen und sie bestreiken, können wir die Unsichtbarkeit dieser Arbeit durchbrechen. Doch es gilt angesichts der aktuellen Krisen für mehr zu kämpfen: Vergesellschaftung von eben jener Arbeit. Indem sie aus der Kernfamilie und der Marktlogik gelöst wird, können wir sie als unsere gesellschaftliche Verantwortung begreifen. Eine Verkürzung der Arbeitszeit würde die Grundlagen für commoning care schaffen. Gemeinsam würden diese beiden Strategien dazu beitragen, Care-Arbeit als gemeinschaftliche Aufgabe zu verstehen und strukturelle Ungleichheiten anzugehen. Es sind also zwei wichtige erste Schritte, um Sorgearbeit zugänglicher zu machen und demokratisch zu organisieren. Packen wir es an! Hinaus zum 8. März!

 

Quellen

Ezquerra, S. & Keller, C. (2022). Für eine Demokratisierung der Sorgearbeit. Erfahrungen mit feministischen Care-Politiken auf kommunaler Ebene in Barcelona. Download

Fried, B. & Wischnewski, A. (2023). Feministisch vergesellschaften. In: Öffentlicher Luxus. Dietz Verlag. Download

Hans-Böckler-Stiftung (2022). Ich pflege wieder, wenn …“ – Potenzialanalyse zur Berufsrückkehr und Arbeitszeitaufstockung von Pflegefachkräften. Kurzversion der Studie

Konzeptwerk Neue Ökonomie (2023). Dossier „Arbeitszeitverkürzung“ Download

Zechner, M. (2021). Commoning Care & Collective Power. Childcare Commons and the Micropolitics of Municipalism in Barcelona. Transversal texts. Download

 

Herzlichen Dank an Alex Gerber für die Recherche für den Text und Pia für das Gespräch über die aktuellen Zustände in Kindergärten!

Autor*in
Foto von Parwaneh Mirassan

Chris Neuffer (keine Pronomen / they)

TRAG UNS MIT

Im Konzeptwerk setzen wir uns für eine gerechte und ökologische Wirtschaft ein, die ein gutes Leben für alle sichert.

Wir haben Ideen, Mut und brauchen einen langen Atem. Den kannst du uns geben.

Unterstütze das Konzeptwerk mit einer regelmäßigen Spende und trage uns mit.