Großes Plakat am Wegrand, auf dem steht: Die Rente ist sicher nicht sicher

Transformative Bildung aus einer machtkritischen und emanzipatorischen Perspektive

Bildungsarbeit mit Lehrer*innen und Multiplikator*innen

Ausgehend von Erfahrungen aus kollektiven Lernkontexten wird hier ein Ansatz der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) vorgestellt, der im globalen Norden entwickelt wurde und kritisch reflektiert wird. Die Arbeit des Teams Transformative Bildung im Konzeptwerk Neue Ökonomie e.V. in Leipzig [1] konzentriert sich u.a. auf die Weiterbildung von Lehrer*innen und Multiplikator*innen und beruft sich auf das Bildungsverständnis von Paulo Freirei [2].
Was ist der Vorschlag für eine transformative Bildung, die einen emanzipatorischen sozial-ökologischen Wandel unterstützt?

Rollen und Positionierung

Transformative Bildung ermöglicht es Lehrenden und Lernenden zu hinterfragen, was bereits etabliert ist – in diesem Fall insbesondere die nicht-nachhaltigen und/ oder imperialen Lebensweisen [3] des globalen Nordens. Damit einher geht auch, Menschen zu unterstützen und zu erkennen, welche Aspekte einer nicht-nachhaltigen/ imperialen Lebensweise sich nicht nur gesellschaftlich, sondern auch persönlich etabliert haben. Transformative Bildung ermöglicht also einen umfassenden Blick auf das Außen und das Innen. In diesem Sinne bezieht sich der Beitrag auf beide Dimensionen. Eine externe Dimension wäre z.B. das Bildungssystem, eine interne Dimension wären die Entscheidungen, die die Lernenden über die Inhalte ihres Lernens treffen können. Es werden auch weitere Beispiele angeführt, die helfen sollen, dieses Bildungskonzept besser zu verstehen.

Hinsichtlich der internen Dimension wird in einer der Überlegungen zur Rolle der Multiplikator*in auf die Notwendigkeit hingewiesen, nicht nur die Rolle der Wissensvermittler*innen zu erfüllen, sondern auch selbst fortwährend zu lernen. Wer andere beim Lernen unterstützen will, muss unbedingt lernen, wie das geht. Dies beinhaltet, dass Multiplikator*innen in der Lage sind, ihre Bildungsarbeit, die Methoden und Praktiken zu reflektieren und offen für entsprechende Veränderungen zu sein. [4] Voraussetzung dafür ist, dass die eigene Position in den Blick genommen wird, aus der Multiplikator*innen Bildungsarbeit tun. Es wird nicht nur hinterfragt, welche Art von Lehrmethoden, Lernen und Wissen den Lernenden vermittelt werden, sondern auch, wer die Person ist, die dies anbietet und wie sie sich in einem bestimmten Kontext positioniert. Wer ist die Person, die die Lernenden anspricht? – Multiplikator*innen können prinzipiell nach und nach alle relevanten Merkmale ihrer gesellschaftlichen Positionierung reflektieren: Sind sie etwa weiblich, nicht-binär oder männlich? Sind sie strukturell marginalisiert oder privilegiert? Arbeiten sie aus einer Perspektive mit oder ohne Migrationshintergrund etc.?

Für gesellschaftlichen Wandel ist es wichtig, dass Multiplikator*innen und Lehrende die eigene gesellschaftliche Positionierung in Bezug auf die eigene Bildungspraxis reflektieren und dies in ihr Handeln einbeziehen. Als Menschen, die Transformationsprozesse in einer Organisation, Gemeinschaft oder Gesellschaft vorantreiben, erleichtern oder leiten, werden sie zu Agent*innen des Wandels. Aus diesem Grund sind Lehrkräfte eine der Zielgruppen der transformativen Bildung.

Wie aber können Lehrer*innen und Multiplikator*innen von ihrem Handlungskontext aus einen emanzipatorischen sozialen Wandel unterstützen? Um diesen Gedanken weiter aufzuschlüsseln, wird, wie eingangs erwähnt, der Kontext des globalen Nordens mit konkreten Beispielen für Aspekte sozialer Ungleichheiten im globalen Norden herangezogen.

Transformation

Um den Kontext des globalen Nordens zu verstehen, wird dieser nicht als geografische Referenz definiert, sondern als politische Positionierung innerhalb globaler Macht-, Wirtschafts- und Sozialstrukturen.

Es wird suggeriert, dass es notwendig ist, über einen Wandel nachzudenken oder ihn anzustreben – aber in welcher Hinsicht? Aus globaler Sicht gibt es verschiedene soziale und ökologische Situationen, die direkt auf die Notwendigkeit von Veränderungen hinweisen. Dazu gehören wirtschaftliche Praktiken, die Modelle der Ausbeutung und Unterdrückung reproduzieren, der Klimawandel und soziale Ungleichheiten, um nur einige Beispiele für eine externe Dimension zu nennen. Es handelt sich um Situationen, die bis zu einem gewissen Grad miteinander verknüpft sind und globale Auswirkungen haben, d.h. sowohl auf den globalen Norden als auch auf den globalen Süden.

Was ist notwendig, um eine gerechte gesellschaftliche Transformation zu ermöglichen und welche Alternativen führen zu Veränderungen? Um dies konkreter zu verstehen, wird eine Vorstellung anhand der folgenden Definitionen [5] und Beispiele aus einem formal-institutionellen Bildungskontext vorgenommen:

  • Ungleichheit. Ungleicher Zugang zu Chancen
    Beispiel: Eine Schule bietet Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die Deutsch nicht als Muttersprache gelernt haben, die Einschulung und den Besuch des Unterrichts an. Sie bietet jedoch keinen außerschulischen Unterricht oder Kurse in anderen Fremdsprachen an.
  • Gleichheit. Gleichmäßig verteilte Unterstützung und Hilfe
    Beispiel: Eine Schule bietet die Einschulung und den Besuch von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund an, die Deutsch nicht als Muttersprache gelernt haben. Sie bietet außerschulischen Unterricht und Kurse in anderen Fremdsprachen an. Alle Schüler*innen der Schule müssen jedoch deutsches Unterrichtsmaterial nutzen und die Prüfungen in deutscher Sprache ablegen.
  • Gleichberechtigung. Personalisierte Instrumente, die Ungleichheit erkennen und beseitigen
    Beispiel: Eine Schule bietet die Einschulung und den Besuch von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund an, die Deutsch nicht als Muttersprache gelernt haben. Sie bietet außerschulischen Unterricht und Kurse in anderen Fremdsprachen auch für Schüler*innen mit Deutsch als Muttersprache an. Sie bietet die Möglichkeit, Unterrichtsmaterialien in verschiedenen Sprachen zu nutzen und motiviert die Schüler*innen zum interkulturellen Austausch.
  • Gerechtigkeit. Das System sollte so gestaltet sein, dass ein gleichberechtigter Zugang zu Instrumenten und Möglichkeiten besteht
    Beispiel: Eine Schule bietet die Einschulung und den Besuch von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund an, die Deutsch nicht als Muttersprache gelernt haben. Das Bildungssystem erkennt das Äquivalent ihrer im Herkunftsland erworbenen Ausbildung oder Kenntnisse an und validiert sie institutionell, so dass sie ihre Ausbildung fortsetzen können, ohne neu beginnen zu müssen.

In diesem Beispiel geht es um eine Situation der Diskriminierung aufgrund der Sprache, des Migrationshintergrunds oder des Rassismus. Es wäre ein Transformationsprozess, Aktionen oder Räume der Bildungsarbeit zu schaffen, die sich der Tatsache bewusst sind, dass ein Bildungsmodell auf der Grundlage von Ungleichheit reproduziert wird, und die notwendigen Veränderungen herbeizuführen, damit diese Aktionen oder Bildungsräume wirklich fair sind.

Emanzipation von Machtverhältnissen

Unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit werden die Machtverhältnisse immer wieder in Frage gestellt, so dass eine Kritik der Macht möglich wird. Ein eindeutiges Machtverhältnis wird durch einen einseitigen Wissensfluss bestimmt. Das Gleiche gilt für soziale Strukturen und Systeme, wenn zum Beispiel Schulen oder Bildungseinrichtungen auf die Vorgaben einer Regierung oder staatlichen Politik reagieren müssen.

In Anbetracht des Beispiels für den Prozess der Umwandlung sozialer Ungleichheiten ist es möglich, dass Lehrer*innen, die Schüler*innen mit einer Fremdsprache als Muttersprache in ihre Klasse aufnehmen, zunächst Frustration oder Verwirrung empfinden, wenn sie diese Sprache nicht beherrschen und aufgrund von Sprachbarrieren die Erwartungen und/ oder das Lernniveau dieser Schüler*innen nicht unterstützen (können). Es ist wichtig, dass Lehrer*innen in verschiedenen Bildungskontexten die nötige Unterstützung erhalten, um diese Schwierigkeiten aufzugreifen und zu überwinden. Für Lehrer*innen kann es nicht Aufgabe sein, politische Maßnahmen für Migration umzusetzen, aber sie können dennoch pädagogische Methoden in ihren Klassen anwenden, um Prozesse zur Inklusion und sozialer Eingliederung ihrer Schüler*innen zu begleiten.

Ausgehend von den Facetten der transformativen Bildung ist es möglich, Multiplikator*innen und Lehrer*innen dabei zu unterstützen, wie sie Transformationsprozesse in ihre Bildungsarbeit integrieren können. Räume konstruktiver Kritik und Reflexion helfen soziale Ungleichheiten zu identifizieren. Daraus lassen sich Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten ableiten.Diese Räume sind auch durch das Bildungsangebot des Globalen Lernens möglich, etwa dort, wo Bezüge hergestellt werden, die die unterschiedlichen Perspektiven aus einem gegebenen Kontext heraus hinterfragen oder bekannt machen. Es wird vorgeschlagen, Wissen oder Erfahrungen nicht zu verallgemeinern, wie es der Vorschlag des Universalismus [6] getan hat. Dies zeigt, wie wichtig es ist, Positionierungen sichtbar zu machen, von denen aus ein bestimmtes Wissen in einem bestimmten Kontext vermittelt und angewendet wird.

Es geht ums Handeln

Damit sind wir auf der Ebene des Strukturwandels angelangt. Eine Referenz im Kontext des Bildungssystems in Deutschland ist zum Beispiel die Umsetzung des vierten Ziels für nachhaltige Entwicklung Hochwertige Bildung.[7]

Doch wie lassen sich in diesem Fall die Begriffe Nachhaltigkeit und Entwicklung in einem Bildungskontext eines Industrielandes des Globalen Nordens verstehen?»Der Auf- und Ausbau von lokalen/regionalen Bildungslandschaften ist notwendig. […] hierbei ist darauf zu achten, dass es nicht um die Implementierung einzelner Maßnahmen, sondern um die Schaffung einer Partizipationskultur in Schule und Gesellschaft geht. Dafür bedarf es keiner vereinzelten Projekte, sondern einer strukturellen Verankerung im Lernort Schule«.[8]

Das Instrument Whole Institution Approach – Ansatz der Ganzheitlichkeit in den Institutionen kann dazu beitragen, besser zu verstehen, worin diese strukturellen Veränderungen bestehen, auch, indem die Umsetzung von Organisationsformen aus einer machtkritischen Perspektive für nachhaltige Institutionen überdacht wird. Dabei werden die Art und Weise, wie bestimmte Verkehrsformen (Fahrrad oder Auto, öffentliche Verkehrsmittel oder Individualverkehr) eingesetzt werden, das Abfallrecycling und die Ermöglichung nicht-hierarchischer Kommunikationsstrukturen zwischen den Mitgliedern einer Institution überdacht. Hier werden dann Rollen und Führungsstile nicht nur im Hinblick auf den Besitz von Wissen, sondern auch mit Blick auf eine integrative Beteiligung aller reflektiert und angepasst.

In diesem Sinne können also Schulen als Teil eines Bildungssystems, als Agenten des sozialen und ökologischen Wandels verstanden werden. Ihr Handlungsspielraum liegt einerseits auf der Gestaltung von physischen Strukturen, wie z.B. der Nutzung erneuerbarer Energien, und ebenso auf einer inhaltlichen und methodischen Ebene.

Als gutes Praxisbeispiel und zur Erläuterung einer Möglichkeit, kritische Machtprozesse in Institutionen zu implementieren, hat die Organisation Konzeptwerk Neue Ökonomie e.V. eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich mit Fragen der Antidiskriminierung beschäftigt.[9] Sie organisiert und diskutiert den Umgang mit Situationen, Positionierungen, Konflikten und Bildungsarbeit, die für die Arbeit des Vereins relevant sind. Einige dieser Prozesse werden von externen Personen begleitet oder unterstützt, z.B. durch Supervisionen oder interne Fortbildungen zur Sensibilisierung im Bereich Diskriminierung. Dieser Prozess begleitet die Arbeit der Organisation seit Jahren und ermöglicht es den Mitarbeiter*innen, Formen des Wandels und/oder der Veränderung zu integrieren. Durch Sensibilisierungsgruppen für Menschen, die sich als weiß positionieren, und eine Gruppe für das Empowerment von Menschen mit Rassismuserfahrungen BiPoC (Black, Indigenous, People of Color) wird ein Raum für die Reflexion der eigenen Position geschaffen. Die internen Fortbildungen ermöglichen es, die verschiedenen Formen der Diskriminierung kennenzulernen und zu reflektieren.

Inspiriert von dieser Art von Prozessen hat das Konzeptwerk Neue Ökonomie e.V. verschiedene Bildungsprojekte entwickelt und ist auch ein Bezugsrahmen für die Organisation und Durchführung von Veranstaltungen.

 

Dieser Text wurde auf Spanisch geschrieben und ins Deutsche mit DeepL.com von Sulca Ariza übersetzt.

[1] Konzeptwerk Neue Ökonomie e.V.: Transformative Bildung. Menschen motivieren, Wandel mitzugestalten. Leipzig, 2024. https://konzeptwerk-neue-oekonomie.org/themen/bildung/ [09.12.24].

[2] »Die Bildungspraxis ist nicht der einzige Weg zu dem sozialen Wandel, der für die Eroberung der Menschenrechte notwendig ist, aber ich glaube, dass es ohne Bildung niemals einen sozialen Wandel geben wird.« Freire, Paulo: Pedagogia de los sueños posibles. Por qué docentes y alumnos necesitan reinventarse en cada momento de la historia. Buenos Aires, Siglo XXI, 2015, P. 40. (Übersetzung: Teresa Arijón)

[3] »Das Konzept der imperialen Lebensweise verbindet Individuum, Wirtschaft und globale Probleme. Die imperiale Lebensweise ist imperial, weil sie bestimmten Gruppen einen übermäßigen Zugriff auf Arbeitskraft und Biosphäre weltweit ermöglicht und negative Folgen auslagert.« I.L.A. Kollektiv (Hrsg.): Auf Kosten Anderer? Wie die imperiale Lebensweise ein gutes Leben für alle verhindert. München, 2027, S. 7-8.

[4] Vgl. auch Freire, Paulo: Cartas a quien prentende enseñar. Buenos Aires, Siglo XXI, 2002.

[5] Siehe auch die Illustrationsserie Equity von Tony Ruth für den Tech Report 2019. Fundacion Adecc: Diferencias de los términos equidad, igualdad y justicia social. Blog diversidad inclusion, 2022. https://fundacionadecco.org/blog-diversidad-inclusion/diferencias-entre-equidad-igualdad-y-justicia-social/ [06.02.25].

[6] Vgl. auch Czollek, Max: Universalismus versus Identitätspolitik: Von einer falschen Gegenüberstellung. HEINRICH BÖLL STIFTUNG, 2021. https://www.boell.de/de/2021/11/12/universalismus-versus-identitaetspolitik-von-einer-falschen-gegenueberstellung [09.12.24].

[7] Engagement Global, 2024. Ziele für nachhaltige Entwicklung: „Ziele 4, Hochwertige Bildung“. (UNESCO). Deutschland. https://17ziele.de/ziele/4.html [09.12.24].

[8] Nationale Plattform BNE 2017: 38. Strukturell ist ein Nationaler Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung umgesetzt worden, um Modelle nachhaltiger Entwicklung im deutschen Bildungssystem zu implementieren. Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2024. „Was ist BNE“. Bildung für Nachhaltige Entwicklung Portal. Deutschland. https://www.bne-portal.de/bne/de/einstieg/was-ist-bne/was-ist-bne_node.htmlhttps://www.bne-portal.de/bne/de/einstieg/was-ist-bne/was-ist-bne_node.html [09.12.24].

[9] Konzeptwerk Neue Ökonomie: Anti-Diskriminierung im Konzeptwerk. Leipzig, 2024. https://konzeptwerk-neue-oekonomie.org/ueber-uns/wie-wir-arbeiten/diskriminierung-und-privilegien/ [09.12.24].

Autor*in
Foto von Charlotte Hitzfelder

Sulca Ariza (sie/ella)

Dieser Text wurde in der Fachzeitschrift „Standbein Spielbein“ in der Ausgabe 123 zum Thema „Klassentreffen: Schule und Museum im Dialog“ veröffentlicht.

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