English translation below

Demokratie verteidigen: Mutige Utopien statt Sparpolitik und Angst

Demokratie braucht eine gute öffentliche Daseinsvorsorge und eine bedürfnisoriernte Wirtschaft. Kürzungen an den Sozialsystemen sind mitverantwortlich am Rechtsruck. Stattdessen sollten wir Reiche stärker besteuern und der Konzentration von Geld und Macht entgegenwirken.

Ich bin Lu vom Konzeptwerk Neue Ökonomie, einem gemeinnützigen Verein aus Leipzig. Wir entwickeln Konzepte für eine neue Art des Wirtschaftens und engagieren uns in politischer Bildungsarbeit sowie für die sozial und ökologisch gerechte Transformation unserer Wirtschaft.
Als Konzeptwerk werfen wir bewusst utopische Perspektiven auf die Herausforderungen der Zukunft. Wir glauben, dass der Blick auf die bestehenden Möglichkeiten uns mehr zum Handeln befähigt und Orientierung gibt, als sich von Angst leiten zu lassen.
Diese Perspektive einzunehmen, ist nicht immer leicht. Persönlich hat mich die letzte Europawahl in ein Gefühl der Ohnmacht versetzt. Das hat meine Utopie von einer Welt, in der Menschen ohne Angst verschieden sein können, weiter in die Ferne gerückt. Die Wahlergebnisse zeigen, was Viele längst spüren: Demokratische, soziale und ökologische Errungenschaften bröckeln.
Das Motto der Demo heute lautet „Rechtsextremismus stoppen – Demokratie verteidigen“. Aber wie?

Es braucht jetzt – und in Zukunft noch viel mehr – gute Solidaritätsstrukturen; Organisierung von Hilfsangeboten, die die Folgen für am stärksten Betroffene abfedern. Beispielsweise Menschen, die Asylverfahren begleiten, queere Jugendzentren unterstützen oder Beratungen für Sozialgeldempfänger*innen anbieten.
Doch wir können nicht nur bei der Schadensbegrenzung bleiben. Krisenzeiten sind Umbruchszeiten. Faschismus versucht, den Menschen ihre Imagination zu nehmen. Jetzt ist der Moment, mutige Gegenentwürfe zu entwickeln, die den Faschisten und ihren rückwärtsgewandten Narrativen entgegentreten.
Untersuchungen zufolge ist es eine wirksame kurzfristige Wahlstrategie für Parteien der rechten Mitte, die Aufmerksamkeit auf soziokulturelle Themen wie Migration und Arbeitslosigkeit zu lenken, und weg von unpopulärer Wirtschaftspolitik.
Das scheint auch die aktuelle Strategie der Ampelregierung zu sein: Sie biedern sich den Wähler*innen mit rechtem Sprech an. Beispielhaft dafür steht Olaf Scholz mit Aussagen wie „wir müssen in großem Stil abschieben“. Das macht die SPD jedoch nicht wählbarer, sondern macht menschenfeindliche Positionen nur salonfähiger.
Die rechte und rassistische Rhetorik hat direkte Konsequenzen und wird bereits von den regierenden Parteien heute umgesetzt – noch bevor die AfD an der Macht ist. Ich möchte nur einige Beispiele nennen: das Bürgergeld wird mit Sanktionen verschärft, während die neu eingeführten Bezahlkarten Menschen im Asylverfahren ausschließen und stigmatisieren. Die „Kindergrundsicherung“ bietet keine echte Entlastung für bedürftige Familien, und der Bestand an sozialen Wohnungen schrumpft weiter. Auch demokratische Initiativen, die alldem etwas entgegenzusetzen versuchen, werden in ihrer Arbeit durch unsichere Finanzierungen und kurze Projektlaufzeiten aufgehalten.

Man glaubt, dadurch der AfD den Wind aus den Segeln nehmen und Wähler*innen zurückgewinnen zu können. Stattdessen schaufelt sich die Ampel so ihr eigenes Grab. Mehrere Studien zeigen, dass rechte Parteien durch staatliche Sparprogramme und den Abbau öffentlicher Leistungen gestärkt werden. Sparpolitik und Krisen schüren Angst und Ressourcenkonflikte. Populisten nutzen das für sich und machen die Schwächsten in unserer Gesellschaft für die vermeintliche Knappheit verantwortlich.

Demokratie braucht eine gute öffentliche Daseinsvorsorge. Das ist kein Luxus, den wir uns gerade nicht leisten können, sondern die Basis für eine Demokratie, die wir uns leisten müssen! Argumentiert werden Kürzungen der Sozialsysteme mit der Sorge kommende Generationen nicht mit Staatsschulden belasten zu wollen, dabei ist die Finanzierung von Investitionen durch Schulden finanzpolitische Regierungspraxis. Die schwarze Null macht unsere Zukunft nicht lebenswerter. Wir brauchen mehr Investitionen in Infrastrukturen und Klimaschutz sowie eine entprivatisierte Daseinsvorsorge, die allen zugutekommt. Sparen können wir bei der Militarisierung und Aufrüstung der Bundeswehr und bei den Superreichen.

Denn Demokratie braucht auch eine gerechte Umverteilung von Macht und Geld. Wir müssen uns fragen: Können wir uns Reiche noch leisten? Die Steuerprivilegien für die Wohlhabenden und Konzerne kosten uns jährlich Milliarden, die wir dringend für soziale Gerechtigkeit und den ökologischen Umbau brauchen. Es ist Zeit, die Vermögenssteuer wieder einzuführen und der wachsenden Schere zwischen Arm und Reich entgegenzuwirken.

Und schließlich: Demokratie braucht eine Wirtschaft, die den Menschen dient, nicht dem Profit!
Unsere aktuelle Wirtschaft fördert Ungleichheit und ist der perfekte Nährboden für rechte Ideologien. Wir brauchen eine Wirtschaft, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert – an Wohnen, Gesundheit, Mobilität und sozialer Teilhabe. Dafür müssen wir jetzt die Weichen stellen:
durch Arbeitszeitverkürzung, die Vergesellschaftung von Wohnraum, kostenlosen ÖPNV und eine Wirtschaft, die die Sorge füreinander ins Zentrum stellt.
Wir müssen die Erzählungen über unsere Zukunft nicht den Rechten überlassen. Wenn wir von einer anderen Welt träumen und schon heute damit beginnen, sie im Kleinen aufzubauen, sind wir stärker.
Wir möchten dich fragen: In was für einer Welt würdest du gerne leben? Und dich dazu einladen genau dafür einzustehen. Denn die Welt in der wir leben ist nicht alternativlos.

 

Quellen:

Macht Sparen rechts? Und warum?

English translation

Defending Democracy: Bold Utopias Instead of Austerity and Fear

Democracy needs strong public services and a needs-oriented economy. Cuts to social systems contribute to the rise of right-wing extremism. Instead, we should increase taxes on the wealthy and counter the concentration of wealth and power.

I am Lu from the Konzeptwerk Neue Ökonomie, a non-profit association based in Leipzig. We develop concepts for a new way of doing economics and are engaged in political education as well as in the social and ecological transformation of our economy. As a think tank, we deliberately adopt utopian perspectives on the challenges of the future. We believe that focusing on existing possibilities empowers us to take action and provides orientation, rather than being guided by fear.

Adopting this perspective is not always easy. Personally, the last European elections left me with a feeling of powerlessness. This pushed my utopia of a world where people can be different without fear further out of reach. The election results reveal what many have long felt: democratic, social, and ecological achievements are crumbling.

The motto of today’s demonstration is „Stop Right-Wing Extremism – Defend Democracy.“ But how?

What we need now—and even more in the future—are strong solidarity structures and the organization of support services that cushion the impact for those most affected. This includes people who accompany asylum procedures, support queer youth centers, or offer advice to social benefit recipients. However, we cannot just stay in damage control mode. Times of crisis are times of upheaval. Fascism tries to strip people of their imagination. Now is the moment to develop bold counter-narratives that challenge fascists and their backward-looking narratives.

Research shows that it is an effective short-term electoral strategy for right-wing centrist parties to focus attention on socio-cultural issues such as migration and unemployment, rather than on unpopular economic policies. This also seems to be the current strategy of the governing coalition in Germany: they are pandering to voters with right-wing rhetoric. For example, Olaf Scholz’s statements like „we need to deport on a large scale“ are emblematic of this approach. However, this does not make the SPD more electable; it only normalizes inhumane positions.

Right-wing and racist rhetoric has direct consequences and is already being implemented by the governing parties today—even before the AfD is in power. I would like to mention just a few examples: the citizen’s income is being tightened with sanctions, while the newly introduced payment cards exclude and stigmatize people in the asylum process. The „basic child allowance“ offers no real relief for needy families, and the stock of social housing continues to shrink. Additionally, democratic initiatives that attempt to counteract all this are hampered in their work by insecure funding and short project durations.

There is a belief that this approach will take the wind out of the AfD’s sails and win back voters. Instead, the coalition government is digging its own grave. Several studies show that right-wing parties are strengthened by austerity programs and the dismantling of public services. Austerity policies and crises fuel fear and resource conflicts. Populists exploit this by blaming the weakest in our society for the supposed scarcity.

Democracy needs strong public services. This is not a luxury we cannot afford right now, but the foundation of a democracy we must afford! Social system cuts are justified with the concern of not burdening future generations with public debt, yet financing investments through debt is standard fiscal government practice. The black zero does not make our future more livable. We need more investment in infrastructure and climate protection, as well as a de-privatized provision of essential services that benefit everyone. We can save money by cutting military spending and Bundeswehr armament, and by taxing the super-rich.

Because democracy also needs a fair redistribution of power and wealth. We must ask ourselves: can we still afford the rich? Tax privileges for the wealthy and corporations cost us billions every year, which we urgently need for social justice and ecological transformation. It’s time to reintroduce the wealth tax and counteract the growing divide between rich and poor.

And finally: democracy needs an economy that serves people, not profit!
Our current economy fosters inequality and is the perfect breeding ground for right-wing ideologies. We need an economy that focuses on the needs of people—housing, health, mobility, and social participation. We need to set the course for this now: through shorter working hours, socialization of housing, free public transportation, and an economy that prioritizes caring for each other.

We must not leave the narratives about our future to the right-wing. If we dream of another world and start building it on a small scale today, we will be stronger.
We would like to ask you: What kind of world would you like to live in? And invite you to stand up for exactly that. Because the world we live in is not without alternatives.

Sources: https://politischeoekonomie.com/macht-sparen-rechts-und-warum/

Autor*innen
Foto von Parwaneh Mirassan

Lu Kohnen (dey)

Dieser Text wurde als Rede auf der Hand in Hand Demo in Leipzig am 25.08.2024 gehalten, eine Woche vor der Landtagswahl in Sachsen.

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