Ausblick auf‘s laufende Jahr
Was steht im Konzeptwerk an?
Ruth: Während Corona fand ich es schwierig, politische Arbeit zu machen, vor allem mit einer linken progressiven Haltung. Mir haben Räume des Zusammenkommens gefehlt. Auf 2022 blicke ich schon optimistischer, weil es wieder mehr Möglichkeiten gibt, zusammen zu kommen, gemeinsam zu diskutieren und Strategien zu entwickeln. Aber das Jahr hat mit krassen Ereignissen angefangen, die Angst machen. Der neueste IPCC-Bericht zeigt, wie weit wir von einem 1,5-Grad-Pfad weg sind. Und natürlich der Ukraine-Krieg. Ich glaube, es ist wichtig, diese Angst zu kollektivieren und gemeinsam Strategien dagegen zu entwickeln.
Mascha: Ich finde es ähnlich schwierig, hoffnungsfroh auf das Jahr zu blicken. Doch ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass Corona und der Krieg vorbeigehen. In Bezug auf die Klimakrise gehören wir zu den Leuten, die Ideen und Konzepte für einen besseren Umgang haben.
Esther: Eine große Frage. Bei all den aktuellen Herausforderungen und sich zuspitzenden Krisen bin ich dankbar, im Konzeptwerk zusammenkommen zu können und an Ideen einer nachhaltigen, solidarischen Gesellschaft und an Handlungsmöglichkeiten dafür zu arbeiten. Das gibt Kraft und Zuversicht. Im Konzeptwerk spüre ich außerdem frischen Wind durch neue Personen und Kooperationen und nicht zuletzt durch die 10-Jahres-Feier.
Welche Projekte möchtet ihr mit euren Teams umsetzen? Hat der Krieg die Projektplanung und die Arbeit im Konzeptwerk verändert?
Ruth: Der Krieg macht gerade viel mit dem Konzeptwerk. In meiner Wahrnehmung gibt es eine höhere politische Verunsicherung als bei anderen Themen. Im Klima-Team entwickeln wir 2022 Strategien und Maßnahmen für solidarische, klimagerechte Politik. Dabei ist nun wichtig zu schauen, wie sich der Diskursraum durch den Krieg verschiebt. Wir müssen verhindern, dass politische Entscheidungen getroffen werden, die einer effektiven Klimapolitik im Weg stehen, wie diese massive Aufrüstung. Dabei ist die aktuelle Debatte um Energiesicherheit auch zentral: Wie kann Energieversorgung gerecht organisiert werden?
Mascha: Wir im Digitalisierungsteam haben uns vor allem ernüchtert gefragt, ob der Krieg dazu führt, dass progressive Transformationsideen in den Hintergrund rücken und Dinge, die erkämpft wurden, wieder rückgängig gemacht werden. Unser Team stellt sich dieses Jahr vor allem die Fragen: Welche Möglichkeitsräume bietet Digitalisierung? Wo kann Digitalisierung nicht nur zu mehr Überwachung führen oder pseudo-nachhaltige Lösungen bieten, sondern mehr Räume für Mitbestimmung, Meinungsbildung, Wissensverbreitung und technische Mündigkeit? Unser derzeitiges Projekt digital bewegt geht im Juni zu Ende. Wir organisieren die Bits & Bäume-Konferenz Anfang Oktober mit, bei der die Hacker*innen-Szene mit der Klima- und Umweltbewegung zusammen gebracht wird. Außerdem arbeiten wir weiter mit unserem Bildungsmaterial “Wirtschaft demokratisch gestalten lernen”.
Esther: In unserer Bildungsarbeit tritt die zentrale Rolle von Frieden für eine sozial-ökologische Transformation wieder stärker in den Vordergrund. Gerade stecken wir mitten im Projekt Gemeinsam.Gerecht.Global. In Kooperation mit mehreren (post-)migrantisch geprägten Organisationen schaffen wir Begegnungsräume und bringen Perspektiven unterschiedlicher Menschen zusammen, um Globales Lernen kritischer und vielfältiger zu gestalten. Dafür organisieren wir dieses Jahr Weiterbildungen für Multiplikator*innen, Exkursionen für breitere Zielgruppen und eine Konferenz im Herbst.
Eine wichtige Entwicklung im Konzeptwerk ist ja der machtkritische Prozess. Wie geht es damit bei euch weiter?
Mascha: Die Debatte um Digitalisierung ist in Deutschland sehr weiß und cis-männlich geprägt. Das wünschen wir uns anders und achten beispielsweise darauf, wen wir auf unsere Podien setzen. Die Frage globaler Gerechtigkeit ist bei Digitalisierung ein großes Thema, denn Ressourcen und Müll sind ungerecht verteilt. Wir nehmen die Arbeit aus den Fokusgruppen in die Projekte mit, aber können auch persönlich daran wachsen.
Ruth: Für mich war der machtkritische Prozess in den letzten zwei Jahren sehr intensiv. Es wurde viel Reibung produziert, wir haben viel über uns und das Konzeptwerk gelernt, aber auch konkret Strukturen überarbeitet.
Nun schauen wir, ob und was diese Veränderungen bringen, wobei das natürlich nie ein abgeschlossener Prozess ist. Ich wünsche mir für dieses Jahr, dass wir eher ins Umsetzen kommen, von dem was wir uns vorgenommen und gelernt haben.
Esther: Ich nehme den machtkritischen Prozess als sehr bereichernd wahr, auch für die konkrete Projektarbeit mit Kooperationspartner*innen. Hier können wir in der Kommunikation, aber vor allem auch in Aushandlungen über Finanzen auf Vieles der kritischen Auseinandersetzung und Reflexion der letzten Jahre zurückgreifen. Gleichzeitig bleibt es ein riesiges Lernfeld, und ich habe manchmal das Gefühl, wir stehen noch ziemlich am Anfang.
Das Konzeptwerk wird dieses Jahr zehn Jahre alt. Was ist für das Jubiläumsjahr geplant?
Mascha: Als Digi-Team sind wir noch relativ jung und haben in der eigenen Arbeit gar nicht so viele Jubiläumsgefühle. Doch wir freuen uns, dass es das Konzeptwerk schon zehn Jahre gibt, trotz aller Widerstände, finanzieller Prekarität und politischer Ungewissheit. Das ist eine große Leistung und ein Grund zu feiern. Ich bin deshalb bei der Partyplanung dabei.
Ruth: Für mich ist es ein krasses Gefühl! Es war sehr eindrücklich, auf der Gästeliste für unsere 10-Jahres-Feier zu sehen, wie viele Wegbegleiter*innen das Konzeptwerk hatte, zum Beispiel all die ehemaligen Mitarbeitenden – es gab eine ganze Ära von Menschen vor mir. Es ist schön, gemeinsam zusammen zu kommen. Gerade in der Widersprüchlichkeit, die um uns herum ist und die eher nachdenklich stimmt oder sogar verunsichert, finde ich es wichtig, Räume zu schaffen, um uns zu feiern und Energie daraus zu ziehen.
Was steht dieses Jahr für das Konzeptwerk sonst noch an?
Mascha: Die Welt verändert sich rasant. Das Konzeptwerk muss sich darin verorten. Funktionieren die gleichen politischen Ideen, die es vor zehn Jahren gab, immer noch? In der sich wandelnden Welt müssen wir uns mit wandeln.
Ein anderer Punkt ist das Älterwerden, die Menschen im Konzeptwerk sind teilweise auch in anderen Lebensphasen. Zum Beispiel ist Elternschaft ein größeres Thema geworden. Es kommen neue Fragen, mit denen wir uns gemeinsam beschäftigen müssen.
Was denkt ihr: Was wird sich in den nächsten Jahren im Konzeptwerk verändern?
Ruth: Ich bin weiterhin davon überzeugt, dass viel von dem, was wir machen, aktuell wichtig ist und bleiben wird. Die Gesellschaft wird sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten stark verändern. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, aufzuzeigen, wie sie anders sein könnte und Menschen in dem Veränderungsprozess mitzunehmen.
Auf der inhaltlichen Ebene haben wir viel erarbeitet. Ich wünsche mir, dass wir das weiter machen. Außerdem sollten wir verstärkt daran arbeiten, mehr Menschen zu erreichen und dafür zu schauen, mit wem wir zusammenarbeiten und in welche Diskursräume wir gehen müssen.
Esther: Ich finde es schwierig, das vorauszusehen. Im Konzeptwerk wissen wir schon lange: Bildungsprozesse, die in die Tiefe gehen und wirklich Veränderungen anstoßen, brauchen Zeit. Wir wünschen uns, in Zukunft Menschen mit unseren Themen noch stärker nicht nur punktuell, sondern längerfristig zu erreichen und ein Stück weit zu begleiten. Dafür braucht es Rahmenbedingungen, die uns Raum und Zeit für solche Begegnungen und Prozesse bieten. Dies steht jedoch oft im Widerspruch zu den sich schnell wandelnden politischen Debatten oder zu kurzen Förderperioden für Projekte.
Mascha: Es gibt Transformationsprozesse und die sind vielleicht erstmal beängstigend. Aber sie sind auch gestaltbar! Das Konzeptwerk beschäftigt sich seit zehn Jahren mit Transformation. Wir wissen viel und haben Ideen, wie es anders und besser sein könnte. Das müssen wir uns auch zugestehen und zeigen.
Digitalisierung wurde zum Beispiel schon als großer Transformationsprozess identifiziert. Bei vielen herrscht dabei erstmal eine große Ratlosigkeit. Da gibt es eine Möglichkeit, verschiedene Wege aufzuzeigen. Denn es gibt auch eine Offenheit, sowohl in der Gesellschaft als auch bei Entscheidungsträger*innen.
Könnt ihr zum Abschluss noch einen Wunsch fürs Konzeptwerk formulieren?
Mascha: Nicht den Mut verlieren. Wir sind auch Teil dieser Gesellschaft und sind täglich mit denselben Nachrichten konfrontiert. Ich glaube, das Konzeptwerk hat für viele Menschen die Funktion eines Hoffnungsträgers. Und deshalb ist es so wichtig und entscheidend, dass wir den Mut und die Hoffnung nicht verlieren.
Esther: Ich wünsche mir vor allem, den internen machtkritischen Prozess, den wir in den letzten Jahren angegangen sind, weiterzugehen und zu vertiefen. Da gibt es noch viel zu (ver)lernen, viele Fehler zu machen und weiter auszuprobieren.
Ruth: Mein Wunsch ist pragmatisch: Ich wünsche mir auf Dauer eine solide Finanzierung, damit wir die nächsten zehn Jahre gut durchhalten, ohne dass Leute ausbrennen. Und dafür zu sorgen, dass Menschen von ihrer Arbeit hier leben können, gerade wenn der finanzielle Bedarf steigt.
Das Interview führten Nina und Frauke am 14. März 2022.
Im Gespräch:
Esther Wawerda (esther), 28, seit 2019 im Konzeptwerk, Team Transformative Bildung
Mascha Schädlich (sie), 30, seit 2021 im Konzeptwerk, Team Digitalisierung und Öffentlichkeitsarbeit
Ruth Krohn (sie), 32, seit 2018 im Konzeptwerk, Team Klima und Öffentlichkeitsarbeit
TRAG UNS MIT
Im Konzeptwerk setzen wir uns für eine gerechte und ökologische Wirtschaft ein, die ein gutes Leben für alle sichert.
Wir haben Ideen, Mut und brauchen einen langen Atem. Den kannst du uns geben.
Unterstütze das Konzeptwerk mit einer regelmäßigen Spende und trage uns mit.