Titelbild Mit grüner Marktwirtschaft das Klima retten? Klimagerechtigkeits-Check der Ampel-Regierung

Klimapolitischer Fortschritt –
aber keine Klimagerechtigkeit!

Ein Interview mit Ruth Krohn und Lasse Thiele

27. Januar 2022

Interview mit Ruth Krohn und Lasse Thiele, zwei Autor*innen unserer Analyse der Klimapolitik der Ampel-Regierung

Konzeptwerk: Ruth und Lasse, ihr habt zusammen mit Matthias Schmelzer die Analyse des Koalitionsvertrages verfasst. Was war eure Motivation, diese Analyse zu machen?

Lasse: Es war Winter und wir brauchten das Geld.
Ruth: Uns war klar: Mit der neuen Regierung unter Beteiligung der Grünen wird Klimaschutz auf der Agenda höher rücken. Wir wollten uns genauer anschauen: Was wird da versprochen, wie wird es bemessen, welche Maßnahmen werden ergriffen? Aber auch: Wo sind Leerstellen?
Lasse: Wir finden es wichtig, nach der Wahl aus der Perspektive von sozialen Bewegungen zu schauen, wo wir stehen. Was sind Ansatzpunkte und Konfliktthemen? Wir knüpfen damit an unsere Wahlprogrammanalyse vom letzten Sommer an und versuchen einen Blick auf die gesamte Wahlperiode zu entwickeln. Wir möchten daraus auch für die Zukunft lernen, was von Wahlversprechen am Ende so übrig bleibt.

Ja, was blieb denn übrig? Welche Veränderungen gab es zwischen Wahlprogrammen und Koalitionsvertrag?

Lasse: Der Koalitionsvertrag ist schon eine Kombination der drei Parteien und ihrer Wahlprogramme. Das kann mensch an unserem farblichen Bewertungssystem in der Studie schnell erkennen. Dort lässt sich auch Stelle für Stelle ablesen, wo sich wer durchgesetzt hat. Bei den Erneuerbaren Energien z.B. die Grünen, in anderen Bereichen andere. Viele weiche Formulierungen aus den Wahlprogrammen sind auch hier eher abstrakt und wenig konkret geblieben. Zum Beispiel die öffentliche Beschaffung nach sozialen und ökologischen Kriterien, die war schon oft in Wahlprogrammen drin, letztes Jahr wieder, aber weder dort noch im Koalitionsvertrag so richtig handfest konkretisiert.

Mein Eindruck beim Durchblättern war, dass sich die FDP oft durchgesetzt hat. Also trotz vieler gelber Bewertungen der Pläne von Grünen und SPD kommt in der Koalition ein Orange oder schlechter raus.

Lasse: Naja, die Grünen wollen eine ökologische Modernisierung. Das ist gar nicht so weit weg von den anderen Parteien, bloß konsequenter verfolgt. Die Ergebnisse liegen dann eben dazwischen, lassen aber Leerstellen aus Klimagerechtigkeitsperspektive.
Ruth: Insgesamt wird viel nachgeholt an ökologischer Modernisierung, zum Beispiel der Ausbau ökologischer Infrastruktur und der Erneuerbaren. Gleichzeitig werden aber viele Hebel nicht ausgeschöpft, um auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen. Aus Sicht globaler Gerechtigkeit gibt eine riesige Lücke.

Heißt das, die Ampel macht nicht genug?

Ruth: Ja, leider – und zwar auf zwei Ebenen betrachtet. Also erstmal ist das Ziel nicht ambitioniert genug, um das 1,5-Grad-Ziel und Klimagerechtigkeit zu erreichen. Die neue Regierung orientiert sich am Restbudget für Deutschland analog zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts letztes Jahr. Dieses Budget ist aber zu hoch, wenn die verbleibenden CO2-Emissionen global gerecht verteilt werden sollten. Darüber hinaus reichen die Maßnahmen aber auch nicht aus, um dieses Ziel zu erreichen.
Grundsätzlich ist die historische Verantwortung Deutschlands nicht mit abgebildet. Versuche, die Klimaschuld zu lindern, zum Beispiel durch Reparationszahlungen an Länder des Globalen Südens, kommen im Koalitionsvertrag nicht vor. Es gibt auch keine Pläne, wie aus den neokolonialen wirtschaftlichen Ausbeutungsverhältnissen ausgestiegen wird.

Ihr zeigt das Dilemma deutlich auf: Es gibt zwar einige Fortschritte, aber insgesamt passiert zu wenig. Wie bewertet ihr das?

Lasse: Wir können hier einerseits ablesen, was die Klimabewegung erreicht hat, also welche klimapolitischen Verschiebungen in den letzten Jahren stattgefunden haben und welche Fortschritte erzielt wurden. Andererseits wird Klimaschutz eben immer noch rein technisch als ökologische Modernisierung gedacht. Es geht um grünes Wachstum und viele Scheinlösungen wie die Wasserstoffstrategie und die Hoffnung auf grünen Wasserstoff. Mit diesen „Lösungen“ müssen wir uns in den nächsten Jahren auseinandersetzen.
Ruth: Das Ergebnis wird erst in ein paar Jahren bewertbar sein, wenn wir sehen, was wirklich umgesetzt wird, erst mal sind das ja nur Versprechen. Klimaschutz nimmt eine größere Rolle ein, das ist positiv. Und Habeck hat mit den Sofortmaßnahmen seine Klimapolitik glaubhafter gemacht. Es wird mit Zahlen gearbeitet, und wir bekamen den Eindruck, dass hieran Leute arbeiten, die das ernst nehmen. Es bleibt aber dieses verkürzte Verständnis von Klimapolitik und ist weit entfernt von Klimagerechtigkeit. Daher: Das ist schon ein Fortschritt, aber nicht gut genug.

Ihr habt jetzt mehrfach die ökologische Modernisierung und grünes Wachstum problematisiert. Warum kann das die Klimakrise nicht aufhalten?

Ruth: Ökologische Modernisierung und grünes Wachstum passen in die Logik des aktuellen Wirtschaftssystems. Das soll nicht grundlegend verändert werden, die Wirtschaft wird begrünt, z.B. indem wir von Fossile auf Strom, vermeintlich Ökostrom umstellen, siehe Auto. Aber dieses Wirtschaftssystem ist wachstumsbasiert. Das heißt, es muss wachsen, um dynamisch stabil zu bleiben und dabei werden immer mehr Ressourcen verbraucht. Damit senken wir den Emissionsverbrauch nicht genügend, um auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen. Außerdem geht‘s bei diesem Fokus auf Klima immer nur um CO2, und dabei wird vernachlässigt, dass auch andere planetare Grenzen überschritten werden und andere Ressourcen oder Senken übernutzt werden. Ziel des Konzeptwerks ist daher eine sozial-ökologische Transformation: Wir müssen Ressourcen gerechter verteilen und die Wirtschaft demokratisch gestalten, um unsere Lebensgrundlagen zu erhalten.

Was wären denn Maßnahmen, die in Richtung einer solchen Transformation gehen würden?

Ruth: Es gibt durchaus Maßnahmen, die in verschiedenen Wahlprogrammen benannt und auch öffentlich diskutiert werden. Dazu gehören beispielsweise ein Tempolimit, ein Verbot von Kurzstreckenflügen oder autofreie Innenstädte. Dann gibt es weitere Maßnahmen, die noch nicht so bekannt oder nicht so beliebt sind, aber sehr effektiv wären. Zum Beispiele eine Arbeitszeitverkürzung. So könnten Konsum und Produktion reduziert und unsere Leben anders organisiert werden. Oder eine sozial-ökologische Steuerreform und Umverteilungsmaßnahmen.
Lasse: Es bräuchte eine Transformation des Wirtschaftssystem, um die strukturelle Wachstumsabhängigkeit zu überwinden. Das passiert überhaupt nicht. Hier ist der Kontrast zwischen ökologischer Modernisierung und einer wirklich klimagerechten Wirtschaft besonders deutlich.
Ruth: Insgesamt stellt es ein hohes Risiko dar, nur auf Technik zu setzen. Oft gibt es die noch gar nicht, oder sie sehr risikant. Das bringt große gesellschaftliche Unabwägbarkeiten. Die gerade genannten Maßnahmen wären da sicherer.

Was ist Eure Hoffnung, was die Studie erreicht?

Lasse: Wie viele andere fragen wir uns, wie mehr drin sein könnte in der Klimapolitik. Politik ist immer ein Abbild der aktuellen Kräfteverhältnisse, und die bildet auch unsere Analyse ab. Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, Hebel zu identifizieren, um als soziale Bewegungen den Rahmen des Möglichen zu verschieben und alternative Maßnahmen ins Spiel zu bringen. Denn unser Ziel bleibt Klimagerechtigkeit.

Foto von Lasse Thiele

Im Gespräch:

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Lasse Thiele
Ruth Krohn vom Konzeptwerk
Ruth Krohn

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