„Kritisches Denken fördern“

Interview mit Julian Wortmann

14. Juni 2018
Die Hälfte der Menschen im Konzeptwerk engagiert sich im Bereich Bildungsarbeit. Was der Bildungsgruppe wichtig ist, erzählt Julian Wortmann im Interview.

 

Julian, ihr seid sieben Leute in der Bildungsgruppe des Konzeptwerks. Worauf konzentriert ihr euch bei eurer Arbeit?

Julian Wortmann: Die Frage, von der wir ausgehen, ist: Wie kann die sozial-ökologische Veränderung der Gesellschaft stattfinden? Dann fragen wir: Was für eine Form des Lernens braucht es dafür? Wir wollen kritisches Nachdenken und tiefgehende Veränderungen bei unseren Teilnehmenden anstoßen. Das geschieht dann, wenn auf verschiedenen Ebenen ein Verständnisprozess einsetzt: nicht nur beim Wissen, sondern auch auf einer emotionalen oder körperlichen Ebene.

Zum Beispiel?

Im vergangenen Herbst haben wir eine „Theaterwerkstatt“ zum Thema Angst organisiert. Dort haben wir mit Methoden aus der Theaterpädagogik die Fragen bearbeitet, warum Angst in unserer Gesellschaft so ein dominantes Gefühl ist und warum wir so viel Energie darauf verwenden, mit den verschiedensten Ängsten umzugehen: Angst davor, abgehängt zu werden, Angst vor dem Anderen, Angst vor sozialen Krisen. In unserem Seminar ging es darum zu fragen: Wo kommen diese Ängste her? Was haben sie mit der Gesellschaft zu tun, in der es oftmals darum geht, möglichst weit vorne zu sein? Mithilfe der Theater-Methoden haben wir die Teilnehmenden dazu motiviert, diese Ängste darzustellen und auszudrücken – jenseits von wissenschaftlichen Erklärungen.

„Das Ziel unserer Bildungsarbeit besteht darin, kritisches Denken zu fördern und Menschen zu motivieren, selbst politisch aktiv zu werden.“

Welche Menschen erreicht ihr mit euren Seminaren, Workshops und Fortbildungen?

Unsere Haupt-Zielgruppe sind Menschen zwischen 15 und 30 Jahren. In unseren selbstorganisierten Seminaren haben wir es oft mit Leuten zu tun, die bereits für gesellschaftliche Probleme sensibilisiert sind. Unser Ziel ist es dann, die Teilnehmenden in ihrer Analyse zu stärken, warum diese Probleme existieren. Das heißt aber auch, dass wir fast immer mit Leuten zusammenarbeiten, die bereits viel formale Bildung genossen haben – und nicht mit breiteren Bevölkerungsschichten. Darüber diskutieren wir auch immer wieder, ob wir da nicht einen zu elitären Ansatz verfolgen.

Ihr wollt auch zeigen, was man gegen gesellschaftliche Probleme konkret tun kann…

Genau. Zentral für unseren Ansatz des „Transformativen Lernens“ ist es, dass wir die Leute nicht damit zurücklassen, was alles schlecht läuft in der Gesellschaft. Wir zeigen ihnen auch neue Perspektiven, Auswege und Alternativen auf. Pauschallösungen geben wir dabei nicht vor, sondern wollen kritisches Denken fördern.

Was waren die Schwerpunkte eurer Arbeit 2017?

Ein Schwerpunkt waren die „mentalen Infrastrukturen“. So nennen wir die Vorstellungen, die in Gesellschaften vorherrschen, die auf Wirtschaftswachstum fokussiert sind. Ein Beispiel ist das „Höher – schneller – weiter“, das unser Denken prägt. Eine andere solche Vorstellung ist die starke Abgrenzung zur Natur: Vor allem in Europa und in Nordamerika ist das Verhältnis zwischen Mensch und Natur auf Beherrschung und auf die reine Nutzbarmachung ausgerichtet – mit weitreichenden Folgen. Das hat nicht nur zu Problemen wie dem Klimawandel und dem Verlust der Artenvielfalt beigetragen, diese Probleme sind auch mit noch mehr Versuchen, die Natur zu beherrschen, nicht zu lösen.

Ihr habt auch zu Landwirtschaft gearbeitet, richtig?

Ja, da hatten wir die Leitfrage „Wie kann eine ökologische und sozial gerechte Ernährung jenseits von industrieller Landwirtschaft aussehen?“ Dazu haben wir u.a. das einwöchige Seminar „Ackern für die Zukunft“ organisiert. Aus unserer Arbeit zu diesem Thema hat sich in Leipzig außerdem eine Initiative gebildet, die nach dem Vorbild anderer Städte die Gründung eines Ernährungsrates für die Stadt vorantreibt. Im Rahmen des Ernährungsrates sollen Lebensmittelproduzentinnen und -händler, Konsument*innen, Verwaltung und Politik zusammenkommen, um zu beraten, wie wir das Thema Ernährung vor Ort selbst gestalten können.

Das ist schon mehr als reine Bildungsarbeit.

Ja, damit rücken wir noch stärker an die Schnittstelle zwischen Bildungsarbeit und politischer Arbeit heran. Das Ziel unserer Bildungsarbeit besteht ja darin, kritisches Denken zu fördern und Menschen zu motivieren, selbst politisch aktiv zu werden und sich in Initiativen und sozialen Bewegungen zu engagieren. Insofern ist der Ernährungsrat zwar nicht unser Kernthema, aber er ist eine Chance, die sich aus unserer Arbeit und unseren Kontakten der letzten Jahre ergeben hat. Diese Chance wollten wir nicht verstreichen lassen.

Julian Wortmann

ist seit 2017 Mitglied im Konzeptwerk-Kollektiv und arbeitet in der Bildungsgruppe.