Transformation durch Bildungsarbeit

Von Max Frauenlob

14. Juni 2018
Sind soziale Innovationen für eine sozial-ökologische Transformation auf eine andere Bildung angewiesen? Wenn ja, wie kann das konkret aussehen? Max Frauenlob hat für seine Masterarbeit im Fach Soziologie die Bildungsarbeit des Konzeptwerks analysiert.

In den letzten Jahren bedeutete ein kritisches Soziologiestudium studieren im Zeichen einer globalen ‚Vielfachkrise‘ (Brand u.a.) mit ökologischen, ökonomischen und sozialen Ausprägungen. Manch alte Selbstverständlichkeiten gerieten ins Wanken, andere gesellschaftliche Strukturmomente blieben verblüffend stabil. Die globalen Probleme drängen zum gesellschaftlichen Wandel, zu einer Abkehr vom Wirtschaftswachstum, der Hinterfragung von Herrschaftsverhältnissen und sozialeren und demokratischeren Strukturen. Zumindest hierzulande haben sich die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse aber bisher kaum verschoben. Aus diesem Spannungsverhältnis aus Stabilität und Veränderung ergeben sich grundlegende Fragen: Wie sind bestehende Herrschaftsverhältnisse und krisenhafte Entwicklungen gesellschaftlich verankert? Wie kann gesellschaftliche Transformation gedacht werden? Was ist die Rolle von Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen und Praktiker*innen?

All diese Fragen betreffen die theoretischen Grundverständnisse, auf denen die konkrete Ausgestaltung von Bildungsprozessen zur Förderung sozial-ökologischer Transformation, als Kernthema meiner Masterarbeit aufbaut.

Hegemonietheoretische Ansätze bieten hier meines Erachtens einen vielversprechenden analytischen Zugang. Hegemonie beschreibt eine Herrschaftsform, die nicht auf bloßer Unterdrückung beruht, sondern sich als kulturelle, materielle und politische Strukturierung der Gesellschaft im Alltag der Menschen und ihrem Denken (Alltagsverstand) niederschlägt. Hegemonie stellt dabei auch und insbesondere ein pädagogisches Verhältnis dar, das die Menschen auf vielfältige Weise prägt (vgl. Gramsci). Die herrschende Ordnung lässt sich so als Ausdruck von Kräfteverhältnissen verstehen, die wiederum auf hegemonialen Handlungsorientierungen, etwa einer verbreiteten imperialen Lebensweise (vgl. Brand) beruhen. Imperiale Lebensweise bezeichnet als ‚normal‘ empfundene kulturelle Praktiken, z.B. häufiges Autofahren im privatem PKW, die erst durch eine ‚imperiale‘ Ausbeutung von globalen Ressourcen und einen überhohen Ausstoß von Schadstoffen ermöglicht werden.

Hegemoniale Verhältnisse sind stets umkämpft und verändern sich fortlaufend. Auseinandersetzungen um Hegemonie und damit auch um gesellschaftlichen Wandel beschreibt Gramsci als zivilgesellschaftlichen Stellungskampf.

Nach diesem Grundverständnis ist Wissenschaft nie ‚neutral‘ sondern stets Teil zivilgesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Ein wesentliches Ziel meiner Arbeit bestand folglich darin, ‚Strukturwissen emanzipatorischen Handelns‘ (Brand) für eine sozial-ökologische Transformation zu entwickeln, also wissenschaftliche Erkenntnisse, die konkrete Möglichkeiten und Bedingungen für emanzipatorisches/ sozial-ökologisches Handeln thematisieren und dieses dadurch unterstützen wollen. ‚Transformiert‘ werden sollen die Produktions- und Lebensweisen innerhalb der Gesellschaft und dies insbesondere ‚von Unten‘ und als emanzipatorischer Prozess:
„Das aus Sicht der breiten Öffentlichkeit wenig Aufregende, die oft kaum sichtbaren Gärungsprozesse, der Humus einer besseren, freieren und gerechteren Gesellschaft, entsteht, wenn Menschen in ihren konkreten Lebensverhältnissen Anregungen und Erfahrungen übernehmen, wenn sie sich als gesellschaftliche Subjekte ernst nehmen und ganz praktisch nach Alternativen suchen und sie schaffen.“ (Brand 2005, 14).

Einen wesentlichen Bestandteil sozial-ökologischer Transformation stellen Soziale Innovationen dar, also veränderte soziale Praktiken, auf denen jegliche Gesellschaftsveränderung beruht. Als Soziale Innovationen lassen sich so unterschiedliche ‚Neuerungen‘ wie Couchsurfing, Solidarische Landwirtschaft, neue Formen generationenübergreifenden Wohnens oder auch ‚1 Euro Jobs‘ bezeichnen. Sozial steht hier für ‚gesellschaftlich‘ und sollte nicht mit ‚sozial gerecht‘ verwechselt werden. Bestimmte Soziale Innovationen der progressiven Art (!) sind zentrale Bausteine einer sozial-ökologischen Transformation: „Der notwendige Wandel erfordert soziale Basisinnovationen, die in Nischen entstehen, geschützt vor dem Markt und der Intervention des Staates, und sich nach Ausreifung etablieren oder diffundieren.“ (Exner 2011, 218). Diese so bedeutenden gesellschaftlichen Neuerungen und Veränderungsprozesse setzen bestimmtes Handlungswissen voraus, auf das meine Arbeit insbesondere abzielt.

Die Forschungsfrage lautet dementsprechend: Sind Soziale Innovationen für eine sozial-ökologische Transformation auf eine andere Bildung angewiesen und wenn ja, wie kann diese aussehen und realisiert werden?

Ziel meiner Arbeit war es schließlich ein entsprechendes ‚Programm‘ grob zu skizzieren, das auf bestehenden Ansätzen emanzipatorischer Bildung aufbaut.

„Den Ausgangspunkt einer ‚Bildung für Soziale Innovationen‘ stellt der ‚Alltagsverstand‘ der Beteiligten dar.“

Und was hat das Konzeptwerk Neue Ökonomie damit zu tun?

Die Bildungsarbeit des Konzeptwerks wurde von mir gewissermaßen als Beispielprojekt herangezogen, in dem bereits eine Art ‚Bildung für Soziale Innovationen‘ praktiziert wird. Damit konnte ich meine eher theoretische Ausarbeitung mit konkreten Praxiserfahrungen abgleichen. In zwei Leitfadeninterviews mit Mitarbeiter*innen des Konzeptwerks habe ich nach Motivation, Inhalten und Zielen, Didaktik, Problemen und Perspektiven im Bezug auf die eigene Arbeit gefragt. Einige Grundsätze lassen sich auch an der Sommerwerkstatt vom Konzeptwerk veranschaulichen, an der ich im August 2014 teilgenommen habe.

Den Ausgangspunkt einer ‚Bildung für Soziale Innovationen‘ stellt der ‚Alltagsverstand‘ der Beteiligten dar. Entsprechend wurden zu Beginn der Sommerwerkstatt eigene Sichtweisen auf globale Probleme und mögliche Lösungen diskutiert. Davon ausgehend geht es insbesondere darum Wissen und alternative Praktiken im Dialog zu vermitteln und einen Raum zu öffnen, in dem bestehende Sichtweisen kritisch hinterfragt werden können. Gefördert werden soll schließlich idealerweise die Selbstermächtigung zum aktiven gesellschaftspolitischen Engagement und öko-sozialem Handeln.

Um diesen Prozess zu begleiten ist es wichtig Handlungswissen eng an der Lebenswelt zu vermitteln und eine gewisse Anschlussfähigkeit zu wahren. In der Sommerwerkstatt konnten diesbezüglich vielfältige Alternativen, von solidarischen Hausprojekten, über Hackerspaces, kollektive Cola- Firmen bis hin zu Gemeinschaftsgärten sehr anschaulich und in persönlicher Interaktion mit den Beteiligten ‚Protagonist*innen des Wandels‘ kennengelernt werden. Dies kann eine rein theoretische Auseinandersetzung mit entsprechenden Konzepten nicht leisten. Zudem wurden praktische Fähigkeiten im Selbermachen vermittelt. Eine entsprechende Bildungsarbeit macht dadurch bereits bestehende gesellschaftliche Alternativen sichtbar und fördert deren Verbreitung (Diffusion).

Weiterhin ist für ‚den Lernerfolg‘ wichtig, dass ‚Resonanzen‘ (Rosa) erzeugt werden, also ein Lernen durch emotionale Erfahrungen und intensives Wahrnehmen. Dies kann insbesondere durch Gruppendynamiken, interaktive Methoden und identitätsstiftende Teamer*innen oder Vortragende als Vorbilder gefördert werden. Gerade die Einheit ‚den Wandel Performen‘ im Rahmen der Sommerwerkstatt konnte auf diese Weise eine deutlich persönlichere Auseinandersetzung mit den behandelten Themen ermöglichen. Durch eine Mischung aus Musik und Tanz, Traumreisen und Reflexionsphasen wurde die eigene Rolle im Transformationsprozess betont. Ein wichtiger Bestandteil dessen ist die Auseinandersetzung mit Visionen, Wünschen und utopischen Vorstellungen. Wie möchtest du gelebt haben? – Die Frage eines ‚guten Lebens‘ und der gesellschaftlichen Voraussetzungen wird politisiert. Ein entsprechender Zugang begegnet der verbreitet verinnerlichten Alternativlosigkeit, fördert den Glauben daran etwas verändern zu können und erhöht die Fähigkeit und die Bereitschaft selbst aktiv zu werden. Nicht zuletzt zeichnen sich derartige Bildungsansätze durch angenehme Lernorte, ausreichend Zeit und freiwillige Teilnahme aus. Darüber hinaus sind Solidarität, Kooperation und Kreativität weitere zentrale Lernziele zur Förderung Sozialer Innovationen.

 

Einige Schlussfolgerungen

Meine Arbeit kommt zu dem Schluss, dass Handlungswissen für progressive Soziale Innovationen durch Bildungsarbeit gefördert werden kann und sollte – ein neues Wohlstandsmodell ist gefragt – Wir müssen veränderte Sicht- und Handlungsweisen lernen und praktizieren. Kritische Bildungsarbeit kann dabei einen Rahmen geben, der die Selbstermächtigung zum aktiven Handeln mit einer klaren Transformationsperspektive verbindet. Konstruktives Handeln ‚für etwas und nicht gegen etwas‘ wird gefördert und bereits bestehende Alternativen gestärkt.

Entsprechende Bildungsprozesse sind in hohem Maße von äußeren Umständen beeinflusst und agieren in einer gegenläufigen Bildungslandschaft in der andere Werte, etwa Konkurrenz und Leistungsfähigkeit vermittelt werden. Im bestehenden Rahmen sind daher wiederum Soziale Innovationen im Bildungsbereich erforderlich (Methoden etc.), die besonders durch freie Träger politischer Bildung initiiert werden können. Gleichzeitig ist dies (finanziell) ein sehr prekäres Arbeitsfeld. Umso wichtiger ist es, dass entsprechende Initiativen sozial-innovativ agieren, bestehende Kooperationschancen nutzen und die Verbreitung und Verstetigung der eigenen, kritischen Bildungspraxis im Blick haben. Ein ‚schmaler Grat‘ zwischen Anschlussfähigkeit und der Notwendigkeit kritischer Positionierung im Rahmen der eigenen Außendarstellung und zivilgesellschaftlicher Kooperationen.

Das Engagement für eine sozial-ökologische Transformation ist meines Erachtens umso überzeugender wenn es gelingt, eigene Vorstellungen eines guten Lebens im Hier und Jetzt zu verwirklichen und zugleich den Wandel aktiv voranzutreiben. Auch für Bildungsarbeiter*innen ist es entscheidend die Überzeugung ‚das Richtige zu tun‘ aufrecht zu erhalten.

Letztendlich bestimmen das soziale Gefüge der Gruppe, der Grad der eigenen Überzeugungen, die örtlichen Bedingungen, Kreativität und soziale Innovationskraft darüber, inwiefern entsprechende Bildungsprozesse erfolgreich sind und somit einen geeigneten Handlungsraum für Pädagog*innen und Aktivist*innen darstellen, die eine sozial-ökologische Transformation voranbringen wollen. In diesem Sinne sind die sozialen und ökologischen Ansprüche und die Organisation im Kollektiv beim Konzeptwerk vielleicht mehr als ein politisches Ideal und Grundlage des Erfolgs. Das Konzeptwerk Neue Ökonomie motiviert mich auf jeden Fall, Bildungsarbeit als Form gesellschaftspolitischen Engagements weiter zu verfolgen, Alternativen in der Praxis zu vermitteln und möglichst selbst zu leben. Bei aller Notwendigkeit kritischer Wissenschaft, „eine andere Welt kann nicht am Schreibtisch erfunden werden“ (vgl. Habermann 2011, 153).

Wesentliche Quellen:

Brand, Ulrich (2005): Gegen-Hegemonie. Perspektiven globalisierungskritischer Strategien. Hamburg: VSA-Verlag
Brand, Ulrich (2011): Post-Neoliberalismus? Aktuelle Konflikte – Gegen-hegemoniale Strategien. Hamburg: VSA-Verlag
Exner, Andreas (u.a.) (Hg.) (2011): Kämpfe um Land. Gutes Leben im post-fossilen Zeitalter. Wien: Mandelbaum
Gramsci, Antonio; Haug Wolfgang Fritz (Hg.) (1995): Philosophie der Praxis: Gefängnishefte 10 und 11. Hamburg: Argument
Habermann, Friederike (2011): Ecommony – Peerökonomie, Gemeingüter, Solidarisches Wirtschaften. In: Rätz, Werner (u.a.) (Hg.) (2011): Ausgewachsen! Ökologische Gerechtigkeit. Soziale Rechte. Gutes Leben. Hamburg: VSA: Verlag, 152-160
Lösch, Bettina, Thimmel, Andreas (Hg.) (2011): Kritische politische Bildung. Ein Handbuch. Schwalbach/Ts: Wochenschau Verlag
Rosa, Hartmut (2012): Weltbeziehungen im Zeitalter der Beschleunigung. Umrisse einer neuen Gesellschaftskritik. Berlin: Suhrkamp

Max Frauenlob

ist Teil der Bildungsgruppe im Konzeptwerk.