Konzeptwerk beim Herbst-Rückzug 2022

Wie war das Jahr 2022 im Konzeptwerk?

 Ein Rückblick auf das Jahr 2022 mit Nina Treu und Max Bömelburg und ein Ausblick auf kommende Projekte

Wie blickt ihr auf das Jahr 2022 – persönlich, im Bezug auf das Konzeptwerk und politisch?

Nina:
Es fällt mir schwer, auf das ganze Jahr zu schauen, aber es gibt Konstanten, die bleiben: der Krieg wird so schnell nicht vorbei sein, die Klimakrise spitzt sich zu, die Unterfinanzierung des Care- und Bildungsbereichs nimmt zu. Aber wie darauf reagiert wird, ist unterschiedlich.
Persönlich habe ich mein entspanntestes Jahr im Konzeptwerk gehabt. 2021 habe ich ja einen Ausflug in die Parteipolitik gemacht. Anschließend habe ich meinen Partner in seinem Genesungsprozess unterstützt. Danach war meine Kraft sehr erschöpft. Anfang 2022 bin ich dann zurück ins Konzeptwerk gekommen und durfte einfach eine unter Vielen sein. Ich habe mitgearbeitet ohne eine treibende Kraft sein zu müssen. Daher war es für mich ein sehr wohltuendes Jahr, in dem ich eine sehr schöne Erfahrung von Kollektivität machen durfte.

Max:
Mein persönliches Jahr war geprägt von einer langen Elternzeit, die ich sehr genossen habe, weil ich acht Monate lang eine intensive Zeit mit meinem Sohn verbringen durfte. Ich hatte einen ungewohnten aber auch sehr strukturierten Alltag. Ab Oktober bin ich dann im Konzeptwerk wieder eingestiegen.
Politisch beschäftigen mich die Langzeitwirkungen vom Krieg in der Ukraine. Die Militarisierung der Gesellschaft und die Nahrungsmittelkrise, die als Folge des Krieges in Ostafrika ausgelöst wurde, machen mir Sorgen. Ich habe Angst, dass geopolitische Konflikte zukünftig militärisch ausgetragen werden. In der Debatte, was das für eine linke Bewegung bedeutet, stehen wir noch am Anfang. Obwohl es sehr deprimierend ist, dass Lützerath jetzt abgebaggert wird, ist es gut, dass es eine Zuspitzung auf einen Ort und eine konkrete Frage gegeben hat, weil es vielen Leuten Kraft gegeben hat, zusammen zu kommen. Ansonsten habe ich das Gefühl, dass es im Kleinen wie im Großen einer Aufarbeitung der Corona-Zeit bedarf. Wir müssen wieder neu lernen, zusammen zu kommen, uns zu vertrauen, einander nah zu sein, Diskussionen in großen Gruppen zu führen, uns öffentliche Räume anzueignen und Protestformen zu finden.

 

Es gab und gibt einige personelle Umbrüche im letzten und im kommenden Jahr: Fünf Personen haben das Konzeptwerk verlassen, sechs weitere sind Eltern geworden und temporär in Elternzeit gegangen. Dafür wurden acht neue Personen eingestellt. Wie blickt ihr auf diese vielen Wechsel? Worin findet das Konzeptwerk Ruhe und Kontinuität?

Max:
Einerseits ist es beunruhigend, wenn Menschen, die man als tragende Säulen wahrnimmt, gehen. Andererseits entsteht dadurch auch erst die Möglichkeit, dass Leute in neue Rollen hineinwachsen und neue Verantwortungsbereiche übernehmen. Was mich am Konzeptwerk schon immer beeindruckt hat, ist die institutionalisierte Kultur wie wir Prozesse begleiten und Konflikte aushandeln und wie gut das funktioniert – auch in wechselnder personeller Besetzung.
In unterschiedlichen Dimensionen ist das Konzeptwerk im letzten Jahr diverser geworden: es arbeiten mehr BIPoC im Konzeptwerk, Vereinbarkeit mit Elternschaft in verschiedenen Konstellationen und Wohnverhältnissen spielt eine größere Rolle und unsere Sensibilisierungs- und Empowerment-Räume haben an Fahrt aufgenommen.
Insgesamt mache ich mir daher nicht so große Sorgen um das Konzeptwerk, aber natürlich werde die Menschen, die das Konzeptwerk verlassen, vermissen. Ganz besonders auch Nina, die Ende diesen Monats geht.

 

Nina, du kennst das Konzeptwerk schon sehr lange und weißt, wie es auf Veränderungen reagiert. Außerdem hast du das Konzeptwerk auch schon einmal verlassen und bist wiedergekommen. Aus dieser Perspektive, was sind die Strukturen, die das Konzeptwerk gut zusammenhalten?

Nina:
Ich kann mich den Einschätzungen von Max anschließen, dass die Struktur an sich eine große Ruhe und Klarheit hat. Es sind tatsächlich sehr viele Menschen Eltern geworden. Es ist ja etwas anderes, ob Menschen komplett gehen oder Menschen immer wieder in Elternzeiten gehen. Für die Organisation ist eine Elternzeit fast herausfordernder, weil man diese Menschen nicht ganz ersetzen kann, und will.
Die Menschen, die gegangen sind, haben schon lange darüber nachgedacht, ob das Konzeptwerk der richtige Ort für ihr politisches Wirken ist. So schade es ist, wenn Menschen gehen, so gut ist es, wenn sie finden, was richtig für sie ist. Anne ist zum Beispiel jetzt sehr glücklich als Lehrerin – das scheint also der richtige Schritt gewesen zu sein.
Es gab ja auch eine lange Debatte darüber, dass weiße Leute aus dem Kollektiv gehen müssten. Es ist in der Hinsicht sehr gut, dass da Platz gemacht wird, damit Menschen nachkommen können.
Ich bin übrigens der Meinung, dass es den machtkritischen Prozess nicht erst seit 2018 gibt. Da haben wir ihn intensiviert, hatten eine externe Begleitung und einen Fokus auf Teamzusammensetzung und Diskriminierungserfahrungen. Das war notwendig, schließt sich aber der Kontinuität an, dass wir uns schon immer kritisch mit Macht auseinandergesetzt haben.
Das Gegenstück zu Macht ist ja Verantwortung. Eine der Herausforderungen, vor denen wir momentan stehen, ist, dass Menschen das Konzeptwerk verlassen, die in den letzten Jahren viel Verantwortung übernommen haben. Diese Rollen konnten wir nicht rechtzeitig nachbesetzen. Das bedeutet, dass Menschen, wie die Finanz-Koordination und die Gesamtkoordination, gerade sehr viel Verantwortung tragen. Aber ich bin zuversichtlich, dass die anstehende Strukturreform da Entlastung schafft.

 

Kommen wir nun zurück zu dem größeren politischen Kontext, in dem wir uns bewegen: Wie schaut ihr politisch in die Zukunft und wo verortet ihr das Konzeptwerk in dieser unsteten Zeit?

Nina:
Es liegen jetzt 1,5 Jahre Ampel-Regierung hinter uns. Auf diese Regierung wurde sehr viel Hoffnung bezüglich eines konstruktiven Umgangs mit der Klimakrise gerichtet. Wir haben von Anfang an gesagt, dass eine bürgerliche Regierung, die unser Wirtschaftssystem grundsätzlich so erhalten will, nicht den großen Wurf machen wird, um die Klimakrise in den Griff zu bekommen. Dafür bräuchten wir ein viel stärkeres Zusammendenken von sozialen und ökologischen Fragen, wir bräuchten Umverteilung, wir bräuchten eine Schrumpfung und Umbau der Wirtschaft, also das, was wir unter Degrowth verstehen. Die Themen an denen das Konzeptwerk arbeitet, werden sich weiter zuspitzen. Im Klima-Team veröffentlichen wir gerade die Bausteine für Klimagerechtigkeit, konkrete klimapolitisch wirksame Maßnahmen, die in den nächsten 5-10 Jahren umsetzbar wären. Solche Vorschläge fehlen in unserer Gesellschaft bisher total. Wir schreiben unsere Dossiers mit einem Umfang von fünfzehn Seiten, aber eigentlich bräuchte es ganz viele richtig ausführliche Studien dazu, wie der Umbau unserer Wirtschaft gelingen kann.
Bei Digitalisierung ist es ein bisschen wie bei Degrowth vor fünf Jahren: das Konzeptwerk ist der Gesellschaft zu weit voraus. Wir haben das Digi-Team gegründet mit dem Argument, dass Digitalisierung ein Prozess ist, der unbedingt kritisch beleuchtet werden muss. Aber die Fördertöpfe sind noch gar nicht auf kritische Leute eingestellt. Das ist bei Degrowth mittlerweile anders, weil klar wird, dass der Klimakrise nicht mit ein paar Reformen zu begegnen ist. Bei transformativer Bildung hat das Konzeptwerk sich stark dafür eingesetzt, dass sich die Bildung für nachhaltige Entwicklung öffnet für postmigrantische Perspektiven und Sorge-Fragen mitdenkt. Daher würde ich dafür plädieren, dass das Konzeptwerk immer weiter macht und bei den Themen unserer Zeit kritisch interveniert.

Max:
Bei der ersten Bits&Bäume Konferenz 2018 haben wir eine Begegnung zwischen zwei sehr unterschiedlichen Bewegungen ermöglicht, der Klimabewegung und der Tech-Community. Bei der zweiten Ausgabe letztes Jahr haben wir dann gemerkt, dass es bei einigen der beteiligten Organisationen bereits institutionalisiert wurde, Digitalisierung kritisch aus einer Nachhaltigkeitsperspektive zu betrachten. Auch wenn man sich herrschende Diskurse anschaut, also in Papieren der Ampel-Regierung, wird sich auf diese Schnittstelle bezogen, also zum Beispiel in Vorschlag Serverparks mit Ökostrom zu betreiben. Das genügt aber natürlich nicht. Wir fragen uns jetzt, welche Rolle wir in dem Prozess spielen wollen. Ich glaube, es geht darum, von der Kritik und den Forderungen zu einer Stärkung der Alternativen, die es schon gibt, zu kommen.
Was mich derzeit auch viel beschäftigt, ist, wie soziale Bewegungen nach Corona wieder auf die Beine kommen. Wir schaffen es so relevante Forderungen auf den Punkt zu bringen und dafür zu mobilisieren, aber es hapert bei der realpolitischen Umsetzung, insbesondere in den Bereichen Klima und Wirtschaft. Aber es könnte demnächst auch Erfolge zu verzeichnen geben, für die lange gekämpft wurde, zum Beispiel bei der Liberalisierung der Familienpolitik gibt es Signale der Verbesserung.

Nina:
Ich glaube, die sozialen Bewegungen, von denen wir Teil sind, sind mit neuen Menschen auch mehr und unterschiedlicher geworden. Die meisten Bewegungen sind aber momentan auch damit beschäftigt, ihren Weg aus dem Internet zurück auf die Straße zu finden. Menschen müssen immer noch aus den Zoom-Calls und Social Media zurück finden zu richtigen Begegnungsräumen. Der kommende Sommer könnte dafür vielerlei Möglichkeiten bieten.

 

Auf welche Projekte freuen wir uns denn im Konzeptwerk dieses Jahr?

Max:
Ich freue mich riesig auf das Projekt Endlich Wachstum – Das Update. Bei dem Projekt geht es darum, unsere Bildungsmethoden mit den Perspektiverweiterungen, die wir im Zuge des machtkritischen Prozesses erarbeitet haben, zu aktualisieren. Zum einen überarbeiten wir unsere Methoden, aber wir führen auch Fachtagungen und Fortbildungen durch und übertragen die Methoden in neue mediale Formate.
Das Team, das zu Digitalisierung arbeitet, freut sich als Teil des Trägerkreises, Bits&Bäume zu verstetigen. Unser Aufgabenbereich liegt vor allem in der Vernetzung der Community, also den Lokalgruppen, und dem Trägerkreis aus 13 Umwelt- und Tech-Organisationen.

Nina:
Das Klima-Team wird vor allem die Bausteine für Klimagerechtigkeit als Buch veröffentlichen und Veranstaltungen dazu machen. Anfang 2024 soll es dann eine Konferenz geben, die Vergesellschaftung und Klimagerechtigkeit stärker zusammenbringt.
Außerdem freuen wir uns darüber, dass es wieder ein Team geben wird, dass zum Thema Care arbeitet und einen Podcast veröffentlichen wird. Es ist so wichtig, feministische Perspektiven auf Wirtschaften lauter werden zu lassen.
Außerdem gibt es im Bildungsteam noch ein Projekt in dem es mit Workshops und einem Lesekreis wieder um gesellschaftliche Utopien gehen wird. Räume zu schaffen, um sich kennenzulernen und voneinander zu lernen, sind in der Post-Corona-Zeit, in der wir leben, wie gesagt dringend notwendig.

 

Kommen wir nun zu unserer letzten Frage, die sich an Nina richtet: du verlässt das Konzeptwerk nach über zehn Jahren. Was möchtest du dem Konzeptwerk für die nächsten zehn Jahre mit auf den Weg geben?

Nina:
Macht so weiter wie bisher! Nehmt den Weg als das Ziel und achtet aufeinander. Ich finde das Konzeptwerk hat eine gute pragmatische Abwägung zwischen einer Ziel- und Außenwahrnehmung und einer Prozess- und Innenorientierung. Wenn ihr mal unzufrieden seid mit dem Konzeptwerk, dann geht gerne mal woanders hin, dann kommt die Wertschätzung schnell zurück. Seid ehrlich, was Macht und Verantwortung angeht. Ich hatte in letzter Zeit Sorge, dass Menschen nicht verstehen, dass es Menschen im Konzeptwerk braucht, die Verantwortung übernehmen und dementsprechend auch Prozesse vordenken dürfen müssen. Es läuft nicht, wenn das keiner tut, aber es muss auch benannt werden. Dinge zu verändern ist leichter, wenn die Kritik klar ist. Kommt viel ins Büro und redet viel miteinander! Das hatten wir jetzt auch schon ein paar Mal, aber diese Zwischenräume wo man beieinander eincheckt, aber auch gemeinsam neue Ideen entwickelt, sind total wichtig. Feiert weiter – und ladet mich ein zu den Partys!

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