Feministischer Streik & Degrowth-Bewegung

Was hat das denn miteinander zu tun?

Von Andrea Vetter

27. Feburar 2019

 

Am 8. März ist Internationaler Frauentag – und dieses Jahr auch in Deutschland: Frauen*-Streik. Ein bundesweiter Organisationskreis ruft alle Frauen und Queers dazu auf, an diesem Tag ihre bezahlte (falls möglich) und unbezahlte Arbeit niederzulegen. Dies ist eine Möglichkeit, darauf aufmerksam zu machen, dass Frauen weltweit, und auch in Deutschland, die Mehrheit der Arbeit verrichten, aber 22 Prozent weniger Einkünfte aus Lohnarbeit erzielen, im Durchschnitt mindestens ein Viertel weniger Vermögen besitzen, und häufig weder selbstbestimmt über ihre Zeit, noch über ihre eigenen Körper verfügen können. Und es ist auch ein Aufruf an Männer, sich solidarisch zu zeigen, und an diesem Tag die Proteste und Aktionen zu unterstützen – mit Kinderbegleitung, Abwasch, Übersetzungen oder anderen notwendigen Unterstützungstätigkeiten. Aktive im Netzwerk Care Revolution, bei dem das Konzeptwerks Mitglied ist, sind unter den Mitorganisator*innen des feministischen Streiks, in Leipzig und bundesweit. Das Eintreten für eine sozial-ökologische Transformation, für Degrowth und der Frauen*streik gehören zusammen! Deshalb haben wir an dieser Stelle ein paar Antworten auf Fragen zusammengestellt, die uns aus der Degrowth-Bewegung so erreicht haben.

Hannah, 28: „Das verstehe ich nicht. Ich bin für eine Postwachstumsgesellschaft, in der das Geschlecht überhaupt keine Rolle spielen soll für menschliche Entfaltung. Über diese Mann-Frau-Einteilung bin ich echt hinweg.“

Eine solidarische Postwachstumsgesellschaft, in der ein Gutes Leben für alle Menschen möglich ist, lässt sich nicht per Fingerschnippen verwirklichen. Sie erfordert Ideen, praktische Alternativen und Widerstand. Als Utopie kann sie uns eine Richtung weisen, doch sie geht aus vom Hier und Jetzt. Und im Hier und Jetzt gibt es Millionen gute Gründe, über die Ungeleichbehandlung von Frauen* empört zu sein – hier und weltweit. Deshalb ist es wichtig, dass wir am 8.März mit vielen vielen vielen Menschen ein deutliches öffentlich sichtbares Zeichen setzen, dass menschliche Entfaltung unabhängig vom Geschlecht möglich sein muss!

Kalle, 53: „Warum soll denn Klimagerechtigkeit mit Feminismus zusammen hängen? Da geht es ja gar nicht um CO2! Ich beschäftige mich lieber mit der Verkehrswende.“

Die Verkehrswende ist extrem wichtig. Und sicherlich freust du dich auch, wenn bei den Aktionen, die ihr gerade plant, um den Autoverkehr in den Innenstädten symbolisch lahmzulegen, viele Frauen und Queers mitmachen. Es ist total sinnvoll, dass wir alle bestimmte politische Themen haben, mit denen wir uns super auskennen und die unsere Herzensthemen sind. Doch manchmal ist es eben auch wichtig, bei großen Aktionen von anderen Spezialist*innen dabei zu sein. Denn ein Gutes Leben für Alle lässt sich nur erstreiten, wenn wir viele sind, wenn wir solidarisch sind, und wenn wir die Gemeinsamkeiten unserer Aktionen erkennen! Klimagerechtigkeit muss Geschlechtergerechtigkeit mit einschließen – und aktuell ist es immer noch so, dass arme und rechtlose Menschen, und das sind häufig Frauen und Queers, von den Auswirkungen des Klimawandels sehr viel stärker betroffen sind und sein werden, als Wohlhabende und Abgesicherte. Hey, wie wäre es mit Kinderbegleitung am 8. März bei einer lokalen Aktion in deiner Stadt? Da sind bestimmt viele junge Autofans dabei, mit denen du auf dem Spielteppich Alternativen zum automobilen System einüben kannst!

 Lars, 22: „Ich finds super, einen Bagger zu besetzen. Aber den feministischen Streik finde ich total langweilig. Ich soll den Abwasch machen? Nee, das ist echt nicht meine Idee von Revolution.“

Ich habe lange in einem Büro gearbeitet, in dem „The revolution begins in the sink!“ in der Küche stand, nebst einem abgebildeten augenscheinlich männlichen Menschen, der die Teller bearbeitete. Das hat sich mir tief eingeprägt. Die Anarchistin Emma Goldman sagte schon vor über 100 Jahren: „If I can’t dance, it’s not my revolution“. Wie wäre es heute mal mit: „Wenn ich nicht auch abwaschen darf, dann ist es nicht meine Revolution?“ Bei Degrowth geht es darum, dass Menschen aus dem Globalen Norden Privilegien abgeben müssen, um ein Gutes Leben für Alle möglich zu machen. Wenn du männlich bist, gehört dazu auch das Privileg, sich bei politischen Aktionen diejenigen rauszusuchen, die mit einem klassisch männlichen Helden-Ideal zusammenpassen. Vielleicht hätte deine große Schwester bei der letzten Aktion auch gerne einen Bagger besetzt? Konnte sie aber nicht, weil sie sich um ihr Baby kümmern musste, das sie zum Stillen nicht einfach abgeben kann. Höchste Zeit, sie jetzt beim feministischen Streik zu unterstützen!

Tanja, 44: „Ich finde die Sprache bei diesem Streikaufruf echt anstrengend. Was soll denn das * und dieses ‚Cis‘ bedeuten? Ich arbeite in einem interkulturellen Garten mit und interessiere mich für naturnahe Tätigkeiten – diese Sprache hört sich für mich aber total künstlich und unverständlich an!“

Das Sternchen bei Frauen* weist darauf hin, dass „Frau“ keine biologische Tatsache meint, sondern eine gesellschaftliche Rolle. „Cis“ ist das Gegenteil von „trans“ – es bedeutet also eine Person, deren Geschlechtsidentität dauerhaft mit der Geschlechtszuschreibung bei ihrer Geburt identisch ist. Beim feministischen Streik ist es uns deshalb wichtig, diese Formulierungen zu benutzen, um viele Menschen in das Streikbündnis einzuschließen – homo- und heterosexuelle Cis-Frauen genauso wie Trans-Frauen oder intersexuelle Menschen. Der Aufruf wendet sich damit eben genau gegen eine „künstliche“ Trennung von „Frau“ hier – „Mann“ dort, und dazwischen nichts. Denn die Biologie kennt sowieso nur ein Kontinnum der Geschlechter, und wie Menschen damit umgehen, ist kulturell höchst verschieden. Diese Sprache soll keine Frauen abschrecken, sondern im Gegenteil alle Frauen und Queers einladen. Also: fühlt euch eingeladen! Und vielleicht wollt ihr ja am 8. März ein Streiktreffen in eurem Garten veranstalten, zu dem ihr euch in einer Frauen*runde bei Kaffee und Kuchen über eure Sorgen, Probleme und Veränderungswünsche über Sprach- und Altersgrenzen hinweg miteinander austauscht? Auch das kann Frauen*streik sein!

Anna, 31: „Ich finde Feminismus schon irgendwie wichtig. Aber ich kann mich ja nicht um alles kümmern. Ich muss an dem Tag wie immer zu meinem Job in meinem Bioladen-Kollektiv. Wir sind ja unsere eigenen Chef*innen, deshalb kann ich eh nicht streiken.“

Vielleicht hat euer ganzes Kollektiv ja Lust auf einen Betriebsausflug zu einem der Streiktreffen oder Demos, die es in vielen Städten gibt? Vielleicht kommen eure Kund*innen ja mit, wenn ihr sie im Vorfeld mit Flyern dazu einladet? Oder wenn das im Plenum nicht durchsetzbar ist – vielleicht wollt ihr ja in eurem Laden oder Betrieb ein solidarisches Zeichen setzen? Auf jeden Fall hoffe ich, dass du an diesem Tag zumindest nicht den Kaffee kochst und den Abwasch in eurer Ladenküche machst, sondern das jemand anders überlässt! Auch innerhalb von selbstorganisierten Alternativen gibt es sicherlich genug Streikanlässe, denn auch basisdemokratische Initiativen sind oft nicht frei von Sexismus oder männlicher Dominanz.

Dietmar, 66: „Ich weiß, dass darf man ja heute ja auf einmal gar nicht mehr sagen. Aber das mit der Frauenfrage ist halt ein Nebenwiderspruch. Genauso wie Wachstum ja auch nur ein Folge des kapitalistischen Akkumulationszwangs ist. Nach Marx ist das ganz deutlich.“

Ähm, ja, tatsächlich sollte mensch heute so nicht argumentieren. Aber nicht erst seit gestern: schon in den 1970er Jahren haben viele Feministinnen, durchaus auch aus marxistischer Pespektive, deutlich gemacht, dass die kapitalistische Produktionsweise auf unbezahlte Reproduktionsarbeit (zu Marx Zeiten fast ebenso wie heute in großen Teilen von Frauen* erbracht) angewiesen ist, um überhaupt funktionieren zu können. Darin ähneln sich nämlich die „kostenlose“ Ressource Sorgearbeit (also Kochen, Putzen, Waschen, Kinder begleiten, kranke Menschen pflegen usw.) und die „kostenlose“ Ressource Naturproduktivität ( z.B. Trinkwasser, oder das Wachsen und Reifen von Früchten an Bäumen usw.) – sie werden in einer kapitalistischen Wirtschaftsweise systematisch entwertet, gering geschätzt und ausgebeutet. Um also ein kapitalistisches Wirtschaftsystem zu überwinden durch eines, in dem ein Gutes Leben für Alle möglich ist, müssen der nachhaltige Umgang mit Sorgearbeit und Naturproduktivität gleichermaßen im Zentrum eines neuen Wirtschaftens stehen. Das passt gut dazu, am 8. März aktiv zu werden – denn auch Marx hat schließlich gesagt: „Unsere Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern!“

Ok, wir geben es zu. Diese Einsendungen haben uns nicht erreicht, wir haben die Fragen erfunden. Aber sie hätten uns erreichen können. Und wenn dir, liebe*r Leser*in, diese oder ähnliche Einwände begegnen, dann weißt du ja jetzt, wie du sie abräumst.

Wir sehen uns am 8. März!

Ihr habt weitere gute Fragen & Argumente? Dann schreibt sie doch bei Twitter unter #fstreik!