Lernen lassen will gelernt sein

Gestalten wir die Lehramtsausbildung für eine gute Zukunft für alle.

 

Ein Gespräch zwischen zweien, die daran beteiligt sind.

23. November 2020

Dass wir als Lehrer*innen und außerschulische Bildungsarbeiter*innen Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) im Sinne einer tiefgehenden ‚Transformativen Bildung‘ umsetzten können, ist leider noch nicht selbstverständlich. Deshalb haben wir uns im Konzeptwerk zusammen mit vielen Anderen in den letzten Jahren gefragt: Was brauchen eigentlich Lehrer*innen und was können sie lernen, um Kinder und Jugendliche darin zu unterstützen eine Welt mitzugestalten, in der ein gutes Leben für alle möglich ist?Und wie kommen wir da hin, dass sie das auch lernen? Darüber haben wir selbst viel im Austausch mit angehenden Lehrer*innen gelernt, z.B. in Seminaren an der Uni Leipzig und mit weiteren Lehrer*innen und Ausbilder*innen an Hochschulen. Hier tragen wir jetzt aus zwei Perspektiven unsere Erfahrungen daraus zusammen, skizzieren unsere Utopie einer Lehrer*innenausbildung, fragen, wo aktuell Hindernisse auf dem Weg da hin sind und stellen euch vor, wo wir bereits Ansätze sehen, etwas zu verändern.
Alma macht das Ganze aus der Perspektive einer Lehramtsstudentin an der Universität Leipzig und gleichzeitig mit der Erfahrung, die sie bei ihrer Arbeit an einer Schule machen durfte.
Nadine schreibt für das Konzeptwerk, das als zivilgesellschaftlicher Akteur in der Lehramtsausbildung zu BNE tätig ist.

Wenn wir daran denken, wie es wäre, wenn Transformative Bildung einen festen Platz in unserer Gesellschaft hätte, bleibt uns zunächst nichts anderes übrig als mit dem Träumen zu beginnen. Wir wollen eine Utopie erträumen, in der transformative Bildung eine wichtige Rolle spielt und wir die Welt so gestalten, dass alle Menschen darin gut Leben können. Wir fragen uns auch, was Pädagogen*innen brauchen um Kinder und Jugendliche auf dem Weg in diese Utopie begleiten zu können.

Alma: Ein logischer Schluss aus dieser Frage ist für mich, dass wir erst einmal den Schüler*innen zuhören, die gerade noch in der Schule sind. Wir wollen von ihnen hören, was sie eigentlich von Pädagog*innen brauchen oder sich wünschen. Ich habe mit Kindern und Jugendlichen im Alter von 10-14 Jahren ein kleines Interview geführt und ich glaube, sie können uns viele Ansatzpunkte und wichtige Themen in unseren Utopie-Traum mit hineingeben. Hier nur ein paar kleine Ausschnitte:

Frage: Was muss ein*e Lehrer*in mitbringen damit ich gut und gerne lerne?
Antworten: Motivation, Geduld, Zeit, Kreativität, aber sie sollte auch eine emotionale Bindung zu Schüler*innen aufbauen können und in Augenhöhe mit ihnen kommunizieren.
Frage: Was brauche ich um Nachhaltigkeit zu lernen?
Antworten: Umweltschutz als Pflichtfach für SuS und Pädagogen, Grundlagenwissen über Prozesse wie z.B den Klimawandel
Frage: welche Themen würde ich unterrichten, wenn ich einen Tag lehren dürfte?
Antworten: Tierschutz, Selbstvertrauen, Schönheit, Umgang mit Konflikten und dem gesellschaftlichen Stress, Kritik äußern und annehmen können (auch bei Pädagogen), vegan kochen.

Für mich bilden sich nach diesem Interview vier Säulen für die Utopie heraus: Respekt, Miteinander, Transparenz und Wissensvermittlung. Wie viel von unserer geträumten Utopie gibt es aber vielleicht schon und was hält uns auf? Vielleicht müssen wir ja nicht immer alles neu erfinden, sondern können schon auf Ideen und Umsetzungen aufbauen, die bereits existieren.

Nadine: Gute Idee. In meiner Utopie einer Lehrer*innenausbildung sehe ich direkt vor mir, wie Schüler*innen mit den angehenden Pädagog*innen zusammensitzen und darüber sprechen, was sie eigentlich brauchen. Wenn ich mir jetzt eine Lehrer*innenausbildung vorstelle, in der angehende Pädagog*innen eben das lernen – Kindern und Jugendlichen zuhören und sie darin bestärken die Gegenwart und die Zukunft mitzugestalten – dann kann ich wiederum bei dem anfangen, was die Studierenden in meinen Seminaren selbst sagen und sich wünschen.

1. Selbst interessengeleitet lernen dürfen:
Denn wenn ich übe, mir Fragen zur Welt zu stellen und selbst nach Antworten suche, dann entwickle ich eher eine Haltung, die auch Schüler*innen nach ihren eigenen Antworten suchen lässt. Dabei war es vielen wichtig, dass Pädagog*innen als Lernbegleiter*innen durchaus einen Rahmen geben, auf Zusammenhänge aufmerksam machen und Perspektiven einbringen, auf die Lernende sonst vielleicht nicht einfach so stoßen. In unseren Seminaren war das z.B. die Verbindung zwischen Klimakrise und Rassismus bzw. Klimagerechtigkeit und Rassismuskritik/kritischem Weiß-Sein. Solche oft unsichtbar gemachten Perspektiven (z.B. aus dem Globalen Süden) und die Reflexion, die diese anstoßen, haben deshalb in meiner Utopie einer Lehrer*innenausbildung einen viel größeren Stellenwert.

2. Kennenlernen und Ausprobieren, was „Bildung“ noch mehr ist als Wissensvermittlung im Klassenzimmer:
Denn Wissen über globale Zusammenhänge etc. ist wichtig, dass sich Menschen aber auf eine Veränderung, eine sozial-ökologische Transformation überhaupt einlassen können und wollen, dazu braucht es noch mehr. Dazu brauchte es vertrauensvolle Lernräume, in denen Schüler*innen gewohnte Denkweisen hinterfragen und auch über Überforderung und Ohnmacht sprechen können, dazu braucht es Lernbeziehungen, in denen Empathie und Solidarität und der Umgang mit unterschiedlichen Bedürfnissen gelernt und geübt werden. Und schließlich Offenheit nach „außen“ in die Gesellschaft: Welche Konflikte existieren dort und wo gibt es Ansätze damit so umzugehen, dass ein Gutes Leben für alle möglich wird? Genau das machen und erfahren in meiner Utopie auch die angehenden Lehrer*innen in ihrer Ausbildung.

Alma, was sind für dich als junge Lehrer*in in dem Bereich wichtige Erfahrungen, die du in deiner Ausbildung gemacht hast – und was fehlt dir?

Alma: Das ist ein sehr gute und wichtige Frage. Bevor ich diese beantworte, möchte dazu sagen, dass ich mich erst im dritten Semester befinde, also noch ziemlich am Anfang, und nur über diesen Ausbildungszeitraum kann ich jetzt auch reflektieren.
Im Lehramtsstudium gibt es eine Sache, bei der ich das Gefühl habe, dass ihr immer genug Zeit eingeräumt und gleichzeitig immense Priorität zugesprochen wird. Manche werden es ahnen: ich spreche von der fachlichen Wissensvermittlung. Es ist also definitiv nichts, was mir fehlt und ich habe für mich persönlich einen Wissenszuwachs, der mir Sicherheit gibt und mich auf das Unterrichten vorbereitet. Deswegen messe ich diesem Bereich eine große Wichtigkeit zu, allerdings stimmt für mich das Verhältnis von Theorie (Wissen) und Praxis (Anwendung) im Lehramtsstudium nicht so ganz. Stellt euch vor, die Professor*innen an der Uni würden ihre Vorlesungen mit einer großen didaktischen Vielfalt halten und uns Studierenden somit ermöglichen, selbst mit einem breiten Spektrum an Methoden zu lernen und uns auszuprobieren, um einen Schatz an Unterrichtsgestaltungsmöglichkeiten anzusammeln, den wir später verwenden können. Wie du es schon oben geschrieben hast, sind Schüler*innen sehr oft ein Spiegelbild ihrer Pädagog*innen und so ist das auch in der Universität zwischen Professor*innen und Studierenden.

Auch gibt es später wenig Momente, in denen wir praktisch lernen und uns ausprobieren können. Eine Möglichkeit in die Praxis einzutauchen bieten mir meine bevorstehenden Praktika. Aber auch hier stehen viele Hindernisse im Weg. Ich würde gerne an Schulen kommen, die mich gut aufnehmen, mich meine Erfahrungen selbstständig machen lassen, mich in meinem Kennenlernen von Dingen unterstützen und mich auch bei meinen Fehlern begleiten. Ich will nicht an eine Schule, in der ich nur für unbeliebte Aufgaben benutzt werde, die Pädagog*innen mir misstrauen oder mir vorschreiben, wie ich was zu machen habe. Wie man also sieht, gibt es viele Aspekte, die mir persönlich sehr wichtig, aber gleichzeitig nicht an jeder Praktikums-Schule zu finden sind. Somit muss ich hoffen, dass ich Glück mit meiner Praktikums-Schule habe. Zu viel Unsicherheit und Spekulation, wenn ihr mich fragt.

Es gibt noch zwei Aspekte, die ich auf diese Frage hin ansprechen will. Sie zählen für mich zu den guten Erfahrungen, die ich gemacht habe, und gleichzeitig empfinde ich diese Momente und Gelegenheiten als zu selten und wünsche mir mehr davon. Was ich in meinem Studium sehr zu schätzen gelernt habe, ist der Austausch mit meinen Kommiliton*innen. Er erweitert meinen Horizont und gibt mir gleichzeitig ein Gefühl von Geborgenheit und die Gewissheit, nicht allein zu sein. Der zweite Aspekte ist das Reagieren des Lehrplans an der Uni auf die Aktualität unserer Gesellschaft. Wir befinden uns in einem ständigen Wandel und dieser Wandel bringt auch die Notwendigkeit neuer Kompetenzen mit sich. Oft habe ich das Gefühl, dass an der Universität noch an Normen und Werten festgehalten wird, die Schulen vielleicht immer noch prägen, aber nicht mehr in dem Ausmaß, wie das in Vorlesungen, Seminaren und in Praktika vermittelt wird. Wir befinden uns in einer Zeit der Umbrüche, in einer Zeit, in der es weniger um Disziplin und Strebsamkeit gehen sollte, als vielmehr um Kompetenzen wie Gemeinschaft, Selbstbestimmung, Selbstständigkeit, globale Verantwortung, Respekt und Courage.

Diese Umbrüche brauchen Zeit, um in so großen Institutionen wie der Universität anzukommen, aber hier und da können wir die Veränderungen jetzt schon sehen. Ein einfaches Beispiel: schon dass ich im letzten Semester ein Modul zum Thema BNE machen konnte, zeigt, dass Prioritäten sich zu verschieben beginnen. Anders machen es viele Hochschulgruppen, wie zum Beispiel die kritischen Lehramtsstudierenden. Sie sehen die Entwicklungen und wollen nicht erst abwarten, bis die Universität sich verändert, sondern versuchen mit Diskussionsräumen, Workshops und auch mit Aneignung und selbstständiger Erarbeitung von Wissen diesen Entwicklungen gewachsen zu sein.

Nadine: Du sprichst da schon vieles an, was einerseits gerade Hindernisse sind und wo du auch schon gute Erfahrungen in der Lehramtsausbildung machst oder Potenzial siehst. Was ich daran auch noch spannend finde ist, in welchem Rahmen das Ganze eigentlich stattfindet. Also was es an großen Rahmendokumenten zu BNE/Globalem Lernen z.B. von Seiten der UNESCO oder auf Bundes- und Landesebene gibt. Denn vieles, was du beschreibst, steht ja z.B. in den ganz aktuellen UNESCO-Dokumenten. Darin geht es darum, dass strukturelle Ursachen der aktuellen globalen Krisen und vor allem individuelle Transformationsprozesse bei Kindern und Jugendlichen, das Hinterfragen von Normalität und ein Umgang mit Komplexität und Ungewissheit stärker in den Blick genommen werden sollen. Also eigentlich das, was ganz zentrale Herausforderungen für die Gesellschaft angesichts von Klimakrisen und globaler Ungerechtigkeit sind. An vielen Hochschulen, z.B. auch in Leipzig, soweit mir das von dort erzählt wird, gibt es allerdings nicht genügend Personal mit genügend Zeit, um sich wirklich intensiv damit zu beschäftigen, wie BNE/Globales Lernen sinnvoll in der Lehramtsausbildung weiter gegeben wird. Hier würde ich mir mehr Mut von Seiten der Kultusministerien und von Seiten der Hochschulleitungen wünschen. Ich höre in verschiedenen Gremien zu BNE immer wieder, dass ja „Forschung und Lehre frei“ ist und deshalb niemand dazu verpflichtet werden kann dazu Angebote zu machen. Gleichzeitig wird aber der Anspruch an Lehrer*innen gestellt, das später dann umsetzen zu können. Hier können vielleicht auch die globalen Rahmendokumente helfen, um mehr Legitimation für Fragen einer sozial-ökologischen Transformation in der Lehramtsausbildung zu schaffen. Und dazu gehört auch diese Dokumente kritisch zu betrachten. Ein Beispiel hierfür ist der offene Brief decolonize Orientierungsrahmen.

Ich mache häufig die Erfahrung, dass es bei all dem sehr wertvoll ist, wenn schulische bzw. universitäre und außerschulische Akteure eng zusammenarbeiten. Die Debatte und auch die Praxis rund um eine kritisch-emanzipatorische, transformative Bildung sind in der außerschulischen Bildung viel intensiver und ‚weiter‘ als ich das oft im schulischen Kontext erlebe, da dort oft auch die Zeit dafür fehlt. Die Kooperationspartner, mit denen ich z.B. an der Uni in Kassel, Leipzig oder Erfurt zusammenarbeite, betonen auch, dass für sie Schule und Gesellschaft – die ja eigentlich eng miteinander verbunden sind – wieder näher zusammenrücken, wenn sie mit Menschen oder Gruppen aus der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. Denn dort können Schüler*innen letztlich erfahren, wie und dass Menschen politisch handeln und Zukunft gestalten. Und das können auch angehende Lehrer*innen schon in ihrem Studium lernen.

Hast du vielleicht am Ende noch ein paar ganz konkrete Wünsche an deine Ausbildung als Lehrer*in, um Kinder und Jugendliche darin unterstützen zu können, eine bessere Zukunft mitzugestalten? Was würdest du anbieten, wenn du ein Semester lang die Lehre für deine Kolleg*innen gestalten könntest?

Alma: Ich würde mir konkret von meinem Studium wünschen, dass ich während der Lehre nicht nur Methoden lerne, wie ich Unterrichtsstoff am besten an junge Menschen herantrage, sondern auch Methoden, die auf Dinge wie Miteinander, Empathie, Respekt und globale Verantwortung ausgerichtet sind. Ich wünsche mir, dass ich schon im Studium dazu gebracht werde, Dinge kritisch zu hinterfragen, nicht nur bei Texten, sondern auch bei der Bildungslandschaft in Deutschland. Ich will mich aktiv mit Problemen und Schwierigkeiten der Bildungspolitik, aber auch mit Lösungen und Beispielen auseinandersetzen, in denen Bildung hier in Deutschland anders gemacht wird. Aber ich will auch dazu angehalten werden, mich selbst zu hinterfragen und immer wieder in Selbstreflexionsprozessen begleitet zu werden, um aus meinen eigenen Schulerfahrungen, meinen Privilegien und auch Wünschen und Zielen zu lernen und dadurch auch meine Rolle als Lehrkraft kritisch zu betrachten.

Zusammenfassend gesagt: ich möchte lernen, wie ich mit Schüler*innen nicht nur über das menschliche Verdauungssystem reden kann, sondern auch wie ich mit ihnen reflektiere, was wir eigentlich Essen, wo das Essen herkommt, wo unsere Aufgaben sind oder auch unseren Konsum zu hinterfragen. Ich will Vielfalt als eine Chance begreifen und lernen, wie nicht nur ich, sondern auch eine ganze Schulgemeinschaft davon profitieren kann. Ich will durch viele Praxiserfahrungen immer wieder dazu angehalten werden, mich in die Position von Schüler*innen hineinzuversetzen, um dadurch einen möglichst emphatischen, respektvollen und zugewandten Raum in meinem Unterricht zu schaffen.

Nun zu der zweiten Frage. Ich glaube, wenn ich die Chance hätte, ein Semester lang mit Lehramtsstudierenden zu arbeiten, würde ich viele der oben genannten Dinge versuchen in die Lehre einzubetten. Aber spezialisieren würde ich mich wahrscheinlich auf die Selbstreflexionsprozesse. Ich finde es so wichtig, dass wir uns als zukünftige Lehrpersonen kritisch mit uns selbst auseinandersetzten und schauen, wo wir ein Vorbild sein können, wo wir aber auch in vielen Fällen einfach nur unterstützen, damit die Schüler*innen ihren eigenen Weg finden. Wir sollten immer wieder schauen wie wir sozialisiert sind und so wenig Vorurteile und Ausnutzung eigener Privilegien in den Unterricht weitertragen wie möglich. Und zum Schluss: wir sollten immer wieder lernen, dass auch wir uns in einem Prozess befinden. Wir müssen Schüler*innen gegenüber immer offen bleiben und uns nicht versteifen oder uns gegenüber Veränderungen verschließen. Die Welt verändert sich stetig und das müssen wir auch und ich hoffe, dass wir auf diesem Weg auch auf die Stimmen der Schüler*innen hören, Feedback von ihnen annehmen können und damit weiterarbeiten.

Nadine: Danke!

Nadine Kaufmann ist Teil des Bildungsteams im Konzeptwerk und arbeitet u.a. zu den Themen Transformative Bildung, sozial-ökologischer Transformation und Digitalisierung.

Alma ist Lehramtsstudierende an der Universität Leipzig.

Teil 4 der Blog-Reihe „Transformative Bildung.
Jetzt mal konkret!“
Mit dieser Blogreihe wollen wir Erfahrungen und Eindrücke aus unserer Bildungsarbeit im Konzeptwerk darstellen.

Trotz und wegen Corona glauben wir, dass eine transformative und kritische Bildung notwendiger denn je ist um solidarische Antworten auf gesellschaftliche Krisen zu finden und ein gutes Leben für Alle zu erstreiten.