Attac:

Eine ganz andere Welt ist möglich!

 

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Autor*innen:
Dagmar Paternoga
Werner Rätz

Werner Rätz und Dagmar Paternoga arbeiten im Attac-Schwerpunkt Globale Armut und Naturzerstörung solidarisch überwinden. Sie haben einen Attac-Basistext zum bedingungslosen Grundeinkommen (zusammen mit Werner Steinbach) und einen zur Wachstumskritik (zusammen mit Hermann Mahler) herausgegeben. Außerdem sind sie im Attac-Rat beziehungsweise im Attac-Koordinierungskreis aktiv.

Es gab in Attac über Jahre hinweg vielfältige Diskussionen, Beschlüsse und Texte zum Thema Postwachstum beziehungsweise Degrowth. Den hier vorliegenden Text verantworten wir als Einzelpersonen, auch wenn wir uns bemüht haben, das Selbstverständnis vor allem der Schwerpunkt-Projektgruppe Globale Armut und Naturzerstörung solidarisch überwinden umfassend zu berücksichtigen.

1. Eine andere Welt ist möglich: eine Welt, die keine Ware ist, und sie entsteht in kleinen Schritten

Die Kernideen, die hinter der Gründung von Attac standen, erscheinen heute fast trivial:

  • Eine andere Welt ist möglich
  • die Welt ist keine Ware
  • eine Finanztransaktionssteuer kann ein sinnvoller Schritt in diese Richtung sein.

Wer würde dem widersprechen? 1997 im Dezember war das anders. Ignacio Ramonet, damaliger Direktor der französischen Monatszeitung Le Monde diplomatique, schrieb damals einen Leitartikel, dessen letzte Sätze lauten:

„Warum nicht eine weltweite regierungsunabhängige Organisation namens ‚Aktion für eine Tobinsteuer als Bürgerhilfe‘ (Action pour une taxe Tobin d’aide aux citoyens – Attac) ins Leben rufen? Gemeinsam mit den Gewerkschaften und den zahlreichen Organisationen, die kulturelle, soziale und ökologische Ziele verfolgen, könnte sie gegenüber den Regierungen als gigantische staatsbürgerliche ‚pressure-group‘ auftreten, mit dem Ziel, endlich wirksam eine weltweite Solidaritätssteuer durchzusetzen.“ (Ramonet 1997)

Nach mehreren Tausend Reaktionen seitens der LeserInnen wurde im Januar 1998 unter einem leicht geänderten Namen (1) Attac Frankreich gegründet, in den folgenden Jahren entstanden weitere Attac-Netzwerke, in Deutschland im Jahr 2000. Attac setzt sich kritisch mit den Erscheinungen der Weltwirtschaft auseinander, die vielfach unter dem Begriff der Globalisierung zusammengefasst werden.

Attac entstand also von Anfang an als globales und globalisierungskritisches Netzwerk. Soziale und ökologische Ziele werden als zentral benannt, der konkrete Aufhänger aber ist eine kleine steuerpolitische Forderung. Deren damalige Brisanz kann man nur verstehen, wenn man die politisch-kulturelle Situation Ende der 1990er Jahre in den Blick nimmt.

Noch zu Beginn dieses Jahrzehnts war die Weltordnung geprägt durch die Existenz zweier Supermächte, die sich hochgerüstet und feindlich gegenüberstanden. Was immer man jeweils vom anderen System hielt, die gesellschaftliche und staatliche Alternative war so jederzeit sichtbar. In Deutschland verlief die Blockgrenze zwischen dessen beiden Staaten. Damit waren die Auswirkungen dieser Situation dort besonders krass. Diese Grundkonstellation zerbrach Anfang der 1990er Jahre. In Deutschland löste sich in dem unvorstellbar kurzen Zeitraum zwischen November 1989 und Oktober 1990 die gesamte zwischenstaatliche Ordnung auf.

Die politischen Gewissheiten verschwanden. Wer im öffentlichen Diskurs ernst genommen werden wollte, durfte von Systemopposition nicht mehr sprechen. Basis- oder aktionsorientierte Gruppen wurden bedeutungslos, der Großteil der linken Presse verschwand. Es verging kaum ein Monat ohne die Nachricht von der Auflösung einer Gruppe, der Letztausgabe einer Zeitschrift. Radikale Kritik verstummte, Nichtregierungsorganisationen machten pragmatische Politik. Und schließlich führte Deutschland wieder Krieg mitten in Europa, im zerfallenden Jugoslawien, und das unter Führung einer Bundesregierung aus SPD und Grünen. Der Kapitalismus schien gesiegt zu haben und Francis Fukuyama sprach vom Ende der Geschichte, also der großen Widersprüche und Kämpfe um grundsätzliche Alternativen. Der Sozialdemokrat Schröder zitierte die erzneoliberale Lady Thatcher: „Es gibt keine Alternative!“

Angesichts dessen war die Aussage „Eine andere Welt ist möglich“ eine Erlösung, und Attac machte sie sich zu eigen, ohne sie erfunden zu haben. Die wenigen Stimmen, die damals darauf hinwiesen, dass (großer) Reichtum für einige noch lange nicht (zumindest kleinen) Wohlstand für viele bedeuten müsse, dass zu den arm gemachten Ländern des Südens nunmehr auch die des Ostens hinzukämen, schienen irgendwie aus einer anderen Welt zu kommen. Mitte der 1990er Jahre kam dann aus einer tatsächlich anderen Welt eine Stimme, mit der niemand gerechnet hatte. 1994, mit dem Inkrafttreten des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens, sagten im Regenwald im Süden Mexikos die Maya-Indigenas laut und unüberhörbar: „Ya basta! – Eine andere Welt ist möglich, eine Welt, in der viele Welten Platz haben.“

Sie setzten damit die Widersprüche wieder auf die Tagesordnung und entdeckten die kreativen Möglichkeiten neu, die im Fehlen von Patentrezepten liegen. Mehr als das Wissen darum, dass eine andere Welt möglich ist, ist für einen neuen Aufbruch nicht notwendig. Wir müssen diese Welt nicht perfekt beschreiben können. Die konkreten Schritte dahin dürfen ruhig so klein sein wie eine Finanztransaktionssteuer es nun einmal ist. Wenn klar ist, dass diese neue Welt keine Ware sein kann, wenn sie nicht im Marktglauben gefunden werden kann, dann liegt in jeder kleinen Bewegung heraus aus dem neoliberalen Alltag die Möglichkeit zum nächsten großen Schritt. Kapitalismuskritik, der Wunsch nach einem guten Leben für alle Menschen und die Einheit von sozialen und ökologischen Fragen dienen als Kompass.

Degrowth in Bewegung(en)

32 alternative Wege zur sozial-ökologischen Transformation

Konzeptwerk Neue Ökonomie & DFG-Kolleg Postwachstumsgesellschaften (Hrsg.)

Die hier versammelten 32 sozialen Bewegungen, alternativ-ökonomischen Strömungen und Initiativen suchen nach Alternativen zum herrschenden Wirtschaftsmodell. Sie fordern einen Paradigmenwechsel: weg vom Fokus auf Wettbewerb, Gewinnstreben, Ausbeutung und Wachstum – hin zu mehr Kooperation, Solidarität und einer Orientierung an konkreten Bedürfnissen. Es geht darum, die Bedingungen für ein gutes Leben für alle zu schaffen. Aber welche unterschiedlichen Wege für eine sozial-ökologische Transformation gibt es? Welche Hürden sind zu überwinden? Welche Gruppen sind beteiligt, wer macht was und wie ist das Verhältnis zueinander? Welche Bündnisse sind möglich? Diesen Fragen sind Protagonist*innen der Bewegungen in einem zweijährigen Vernetzungs- und Schreibprozess nachgegangen. Die daraus entstandenen Beiträge motivieren zu eigenem Tun und Engagement.

2. Attac versucht als Teil der globalisierungskritischen Bewegung im real existierenden Kapitalismus Handlungsfähigkeit zu gewinnen und Veränderungen durchzusetzen

Attac ist Teil einer Bewegung, die sich seit Mitte der 1990er Jahre weltweit entwickelt. Vor allem in Deutschland haben die Medien Attac oft als identisch mit der Globalisierungskritik dargestellt. Tatsächlich hat sich diese aber an vielen Orten auf der Welt, zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Formen und Gruppen herausgebildet, von denen wir nur eine sind.

Der Gründung von Attac in Frankreich folgten innerhalb weniger Jahre mehrere Dutzend in anderen Ländern, im Januar 2000 auch in Deutschland. Es gibt Gruppen auch in einer Reihe von arm gemachten Ländern des Südens, dort sind sie aber meist recht klein. In einigen Industrieländern dagegen verfügen sie in der alternativen und linken Bewegung über einigen Einfluss. Daraus ergibt sich notwendigerweise eine gewisse Konzentration auf Handlungsoptionen mitten im Kapitalismus. Für Attac Deutschland ist das von Anfang an, anders als oft in Medien und Öffentlichkeit angenommen, nicht nur die Forderung nach der Finanztransaktionssteuer, sondern auch der Kampf gegen die Privatisierung der Sozialsysteme und die soziale Frage überhaupt. Das Plädoyer für umfassende öffentliche Infrastruktur, gegen ausufernden Welthandel und für regionale Wirtschaftskreisläufe wird dabei durchgängig auch mit ökologischen Argumenten begründet. Aber die stehen nie nur für sich alleine, sie sind immer eingebettet in die jeweiligen sozialen, handels-, entwicklungs-, arbeitsmarkt- oder friedenspolitischen Zusammenhänge.

Dadurch hat Attac oft Leute angezogen, die in diversen politischen Settings bezogen auf verschiedene Themenkomplexe keine sinnvollen Wirkmöglichkeiten mehr sahen. Privatisierungen im Renten- und Gesundheitssystem und besonders die Agenda 2010 führten sozialpolitisch Engagierte zu Attac, die Beteiligung Deutschlands an Kriegseinsätzen Friedensbewegte, und der Verzicht der rot-grünen Bundesregierung auf jegliche emanzipatorische Vision in ihrer Politik reaktivierte so manche Aktiven aus der 68er-Bewegung. Das bringt Leute mit viel politischer Erfahrung zu Attac, macht uns aber auch älter und männlicher als den Bevölkerungsdurchschnitt. Die meisten Aktiven kommen aus der Mittelschicht, mit gymnasialer oder Universitätsbildung.

Ein weiteres Strukturelement verstärkt die Attraktivität von Attac für erfahrene AktivistInnen. Wir sind kein Verein, keine NGO, kein Bündnis und doch von all dem etwas. Wir haben Einzelmitglieder (zurzeit etwa 30 000) und die könnten ähnlich organisiert sein wie Vereine oder Parteien, also vertikal mit Repräsentation und Kontrolle. So wird die Organisationsstruktur von außen meist und manchmal auch intern verstanden. Aber es gibt auch bundesweite thematische Arbeitsgruppen, die ähnlich arbeiten wie Nichtregierungsorganisationen, das heißt, es organisieren sich Fachleute um ein gemeinsames Thema herum. Darüber hinaus sind über hundert Organisationen, deren herkömmliche Form der Zusammenarbeit das Bündnis ist, Mitglied bei Attac. Das führt dazu, dass in unseren bundesweiten gewählten Gremien Rat und Koordinierungskreis alle drei Akteurstypen – Einzelpersonen, Arbeitsgruppen, Organisationen – vertreten sind. Beschlüsse werden nicht mit Mehrheit, sondern im Konsens gefasst (der zehn Prozent Gegenstimmen erlaubt). Einzelmitglieder und Nichtmitglieder sind in ihren Rechten völlig gleichgestellt. Sie organisieren sich bundesweit in etwa 170 lokalen Gruppen, womit wir in allen Groß- und Mittelstädten und in vielen Regionen vor Ort präsent sind.

Einzelne Attac-AGs wie Genug für alle oder feminist Attac haben sich schon früh mit wachstumskritischen Themen befasst; Attac als Ganzes ist zu diesem Thema erstmals 2011 mit dem Kongress Jenseits des Wachstums?! öffentlich hervorgetreten. Im Herbst 2014 wurde der Schwerpunkt Globale Armut und Naturzerstörung solidarisch überwinden beschlossen.

Neben eigenständigen Aktivitäten arbeitet Attac zu vielen Themen in diversen Bündnissen mit anderen Strömungen und Organisationen zusammen. Einige wichtige sind TTIP unfairhandelbar (Freihandel), Blockupy (Eurokrise), umfairteilen! (soziale Frage) und Recht auf Willkommen (Flucht und Migration). Mehrere bundesweite AGs arbeiten zu ihren Themen ebenfalls in Bündnissen mit anderen Organisationen, haben diese oft selbst angestoßen oder sind treibende Kräfte darin, so die AG Soziale Sicherungssysteme im Bündnis gegen Fallpauschalen in der stationären Krankenbehandlung, die AG Finanzmärkte und Steuern im europäischen Tax Justice Network, die AG Genug für alle im europäischen Grundeinkommensnetzwerk, die AG Energie, Klima, Umwelt bei Ende Gelände (zum Kohleausstieg) und die Schwerpunkt-Projektgruppe bei der Milch-Kampagne.

3. Attac versteht sich als Teil der Wachstumskritik, hat aber eigenständige Ansätze, die sich von Teilen der Degrowth-Bewegung unterscheiden

Wie mehrfach erwähnt hat die ökologische Frage allgemein und die Wachstumskritik speziell bei Attac implizit immer eine Rolle gespielt. Die ausdrückliche Beschäftigung mit Wachstum ist nur bedingt ökologisch motiviert. Der Zwang zum Wachstum ist vielmehr im Kapitalismus angelegt und von daher begründet sich unsere Kritik.

An dieser Stelle ist ein kleiner Ausflug in die politische Ökonomie unvermeidlich. Im Kapitalismus existiert der gesellschaftliche Reichtum in zweierlei Form und aus diesen beiden Formen und der Dynamik zwischen ihnen erklärt sich die Notwendigkeit des Wachstums. Wie in jeder anderen Wirtschaftsform muss auch im Kapitalismus der Reichtum als konkretes Produkt oder Dienstleistung, um Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, vorhanden sein. Aber anders als in jeder anderen Wirtschaftsform stellt sich der ganz überwiegende Teil allen Reichtums im Kapitalismus auch als Wert dar. Der Einfachheit halber können wir mit einer gehörigen Portion ökonomischer Ungenauigkeit auch sagen, als Geldbetrag. Dabei handelt es sich um eine spezielle Form von Geld, nämlich um Geld, das zum Zweck seiner Vermehrung in die Produktion von Waren investiert wurde, also um Kapital. Nur dieser Vorgang stellt sicher, dass überhaupt Güter und Dienstleistungen auf dem Markt angeboten werden. Kein Geldbesitzer investiert in irgendein Geschäft ohne die Aussicht darauf, sein vorgeschossenes Kapital in Form einer größeren Summe zurückzubekommen.

Damit das gelingt, müssen zwei Bedingungen erfüllt werden. Erstens müssen Menschen Ausgangsmaterialien so bearbeiten, dass Produkte entstehen, die mehr Energie und Stoffe aufgenommen haben als zu Beginn des Prozesses. Nur dann sind sie wertvoller als die in die Produktion eingegangenen Rohstoffe. Zweitens müssen die Produkte auch verkauft werden, nur dann erhält die Investorin ihr vorgeschossenes Kapital und, wenn alles gut gegangen ist, auch einen Gewinn zurück. Die Geldvermehrung ist das Motiv hinter jeder ökonomischen Investition im Kapitalismus und der über Kauf und Verkauf vermittelte Konsum die Bedingung dafür, dass das auch klappt. Ob dieser Konsum durch Individuen, den Staat oder andere Firmen stattfindet, spielt keine Rolle. Ja, es ist sogar egal, ob die Waren überhaupt konsumiert oder nur weggeworfen werden, wenn sie denn nur bezahlt worden sind.

Vor diesem Hintergrund sind Appelle an die Individuen auf Konsumverzicht weitgehend zwecklos. Um nicht missverstanden zu werden: Wir bestreiten nicht, dass beim Versuch, zu einer ökologisch verträglichen Wirtschaftsweise und Gesellschaft zu kommen, die persönliche, individuelle Praxis bedeutsam ist. Aber auf den Gang der kapitalistischen Ökonomie hat sie wenig Einfluss. Die großen KapitalbesitzerInnen und ihre politischen RepräsentantInnen werden Himmel und Hölle in Bewegung setzen, damit Produktion und Konsum weiterhin funktionieren. Und dabei ist es ihnen völlig egal, was produziert oder konsumiert wird. Wenn mit Zigaretten nichts mehr zu verdienen wäre, täten es vielleicht auch ökologisch hergestellte und fair gehandelte Textilien aus Bangladesch. Oder es könnten auch Gewehre oder Feinstaubfilter für Industrieanlagen sein.

Man darf auch nicht dem Irrtum aufsitzen, dass die „großen Vermögensbesitzer“ nur reiche Einzelpersonen seien. Es handelt sich vielmehr um Kapitalsammelstellen wie Pensionsfonds, Banken oder Versicherungen. Diese sogenannten institutionellen Investoren verwalten in der Regel kleine Geldbeträge kleiner Leute. Erst in ihren Händen werden sie zu großen Summen und gesellschaftlicher Macht.

Kapitalistische Ökonomie kann ohne Kapitalvermehrung nicht funktionieren. Deshalb wird die ökologisch unumgängliche Reduktion von Energie- und Stoffverbrauch ökonomisch nicht zu haben sein ohne einen – zumindest in weiten Bereichen durchgesetzten – Bruch mit dem Kapitalismus. Es ist innerhalb von Attac keineswegs unumstritten, wie weit dieser Bruch gehen muss und wie groß die ersten Schritte dazu sein sollten. Es ist aber Konsens, dass erstens zumindest die Bereiche, die für das gute Leben aller notwendig sind, außerhalb seiner Logik organisiert werden müssen: Sozialsysteme, öffentliche Dienstleistungen, soziale Infrastruktur und anderes mehr. Und zweitens müssen große Einkommen und Vermögen umfassend verringert werden. Dazu sind Vermögensabgaben und dauerhaft hohe Steuern notwendig und das betrifft Privatleute ebenso wie Unternehmen.

Wir betonen ausdrücklich, dass es sich hier um eine zentrale wachstumskritische Argumentation handelt und nicht etwa um eine rein steuer-, sozial- oder gerechtigkeitspolitische. An dieser Stelle ist eine doppelte Differenz zu den suffizienzorientierten Teilen der Degrowth-Bewegung erkennbar: Wir begründen die Forderung nach dem Ausstieg aus dem Wachstum nicht in erster Linie ökologisch, sondern mit der Notwendigkeit des Bruchs mit dem Kapitalismus, zudem denken wir, dass dieser Bruch gesellschaftlich und kollektiv organisiert werden muss und allein durch individuelles Verhalten nicht herbeigeführt werden kann. Dabei ignorieren wir weder die ökologischen Argumente noch die individuellen Möglichkeiten, gewichten sie aber anders.

Auch wenn Attac sich also keineswegs einfach als Teil der Degrowth-Bewegung versteht, halten wir diesen Ansatz trotzdem aus verschiedenen Gründen für sinnvoll. Wenn diese Bewegung auch den zentralen Grund für den Wachstumszwang, nämlich den Zwang zur Kapitalakkumulation in der gegenwärtigen Ökonomie, nur bedingt benennt, so formuliert sie doch ein anderes gesellschaftliches Paradigma. Sie beschränkt sich eben nicht darauf, nur hier und da mehr oder weniger große Korrekturen zu fordern, wie es etwa der Ansatz des Green New Deal tut. Dieser hält deutlich am bestehenden Wirtschaftsmodell fest, will lediglich die Energiegewinnung aus anderen Quellen organisieren. Die Green-New-Deal-Group hatte schon in ihrem Gründungsdokument vom Juni 2008 ihren historischen Bezug, den New Deal des US-Präsidenten Roosevelt aus den 1930er Jahren, als gigantisches Investitionsprogramm verstanden. In ihren Vorschlägen zur Errichtung von solarthermischen Großkraftwerken oder Windkraftanlagen auf dem offenen Meer heißt es dazu wörtlich: „Die öffentliche Finanzierung kann dadurch gesteigert werden, dass individuelle Privatsparer, Pensionsfonds, Banken und andere Finanzinstitutionen ermutigt werden, in einen von der Regierung betriebenen Green New Deal zu investieren.“ Solche Vorstellungen lehnen wir gemeinsam mit der Degrowth-Bewegung ab.

4. Jeder praktische Versuch, Wachstum zurückzunehmen, muss die Versorgung der Menschen mit den notwendigen Gütern und Dienstleistungen sicherstellen

Aus dem bisher Gesagten leiten wir zentrale Anforderungen an die weitere Zusammenarbeit mit der Degrowth-Bewegung ab, auch wenn sie aus Platzgründen hier nur angedeutet werden können. Wir erwarten natürlich nicht, dass alle in der Wachstumskritik Engagierten dieselben Schlüsse ziehen wie wir. Es gibt genügend Gemeinsamkeiten für eine Zusammenarbeit derer, die aus einer Degrowth-, und derer, die aus einer kapitalismuskritischen Perspektive Wachstumskritik betreiben. Aber für Attac bieten die folgenden Punkte nicht nur Orientierungen für das eigene Handeln, wir werden sie immer wieder auch als Anforderungen in die gesamte Degrowth-Bewegung einbringen.

Wir haben nicht nur aus analytischen Gründen auf die beiden Formen des gesellschaftlichen Reichtums – zum Zwecke der Bedürfnisbefriedigung und als Wert ­– im Kapitalismus hingewiesen. Sie haben auch eine Bedeutung für die Praxis. Kapitalistische Ökonomie betrachtet nur die Wertseite. Die Nützlichkeit der Produkte bedeutet ihr nur insoweit etwas, als sie verkaufbar bleiben müssen. Uns muss es um genau das Umgekehrte gehen, um die sichere und umfassende Versorgung der Menschen mit den Gütern und Dienstleistungen, die für ein gutes Leben aller notwendig sind.

Dabei gibt es keinen strategischen Hebel, den man nur umlegen muss, um einen unumkehrbaren Prozess in Gang zu setzen. Es ist nicht vorhersehbar, welcher praktisch-politische Ansatz erfolgreich sein wird oder wie weit er führen und was er in Bewegung setzen kann. Viele Themen sind mit der Wachstumsproblematik verbunden, viele befinden sich im Fokus unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen und Bewegungen, oft ohne dass die ProtagonistInnen den Zusammenhang mit der Wachstumskritik ausdrücklich herstellen oder auch nur bemerken. Wir haben das für die bestehenden Attac-Arbeitszusammenhänge einmal durchbuchstabiert und festgestellt, dass die meisten regelmäßig Themen mit wachstumskritischer Relevanz bearbeiten: geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, soziale Sicherung, Widerstand gegen das europäische Krisenregime (Blockupy), Finanzmärkte und Steuern, Handelsabkommen, TTIP, CETA, TiSA, Wachstum und Klima, Kommunen, solidarische Lebensweisen, Umfairteilen, ArbeitFAIRteilen, Militarisierung und Krieg. Die Verbindung der Teilkämpfe im Hinblick auf ihre inhaltlichen Anliegen und politischen Wirkrichtungen sollte im Zentrum unserer Wahrnehmung stehen, nicht ihre Einheitlichkeit in Auftreten und Formulierungen.

Dabei bleibt zu betonen, dass es die Kämpfe sind, die den Ausschlag geben werden. Es ist immer erfreulich, wenn aus Wissenschaft, Politik oder anderen Teilen der Gesellschaft gute Vorschläge und Anregungen kommen. Aber ob sich etwas ändert, entscheidet sich nicht daran, wer das bessere Argument hat. Die Profiteure des Bestehenden haben viel zu viel zu verlieren, als dass diese allein aus Einsicht auf dessen Durchsetzung verzichten würden. Ohne harte Auseinandersetzungen, ohne Kämpfe wird sich da nichts ändern – und diese sind ja auch längst im Gange. Wachstumskritik kann sich in sie hineinbegeben und sie bereichern.

Wir persönlich priorisieren Auseinandersetzungen, die ein besonderes Phänomen kapitalistischer Ökonomie in den Blick nehmen, von dem bisher nur indirekt die Rede war. Wir sagten, dass es den InvestorInnen gleichgültig ist, was sie produzieren lassen und wer, wozu oder ob überhaupt jemand es brauchen kann. Das führt dazu, dass es ganze Wirtschaftszweige gibt, die nichts produzieren, das in irgendeiner Weise gesellschaftlich nützlich sein könnte: die Militärtechnologie zum Beispiel und ebenso Wirtschaftszweige, die so grundsätzliche Gefahren und Risiken bergen, dass der Schaden beim Eintritt eines größten denkbaren Unfalls den möglichen Nutzen aus der Vergangenheit weit übersteigen würde, wie die Gen- und die Atomtechnologie. Diese Branchen können ohne Schaden für die Gesellschaft komplett beseitigt werden. Andere, wie die Landwirtschaft, der Transportsektor oder auch die Energieproduktion, sind zwar grundsätzlich gesellschaftlich unverzichtbar, aber in einer konkreten Form ausgestaltet, die ausschließlich der Gewinnerzielung dient und in weiten Teilen keinen Beitrag zur Versorgung der Menschen mit sinnvollen Gütern leistet. Auch hier gibt es also einzelne ökonomische Tätigkeiten, auf die verzichtet werden könnte, ohne dass damit ein direkter Wohlstandsverlust für die Gesellschaft verbunden wäre. Geregelt werden müsste allerdings die materielle Absicherung der Einzelnen, die zum Beispiel ihren Arbeitsplatz verlieren würden. Viele in Attac schlagen dafür ein bedingungsloses Grundeinkommen vor.

5. Einer umfassenden emanzipatorischen Bewegung geht es ums Ganze einer anderen Gesellschaft

In der Sache haben wir für den klaren Bruch mit dem Bestehenden plädiert. Das wird keineswegs von allen in der Wachstumskritik Engagierten geteilt und muss es auch nicht. Dennoch müssen vorgeschlagene Alternativen glaubwürdig sein. Dazu bedarf es unsere Meinung nach dreier Bedingungen:

  • Das zu lösende Problem muss genau und radikal angesprochen werden. Die Menschen bekommen seit Jahrzehnten vollkommen umgedeutete Begriffe wie „Reformen“,„Umweltschutz“ oder „Wohlstand“ zu hören. Wachstumskritik kann nicht seicht daherkommen, ohne Konflikte zu benennen und auszulösen. Der Ausstieg aus einigen Technologien und Produktionsabläufen muss sehr rasch erfolgen, längerfristige strukturelle Festschreibungen von schädlichen Strukturen darf es nicht mehr geben.
  • Benötigt werden Strategien, mit denen politische Durchsetzungsfähigkeit gewonnen werden kann. Denn gegen das Ansinnen grundlegenden Wandels gibt es mächtige Widerstände. Verbale Appelle alleine werden nicht nur nicht genügen, viele Menschen werden auch nicht glauben, dass damit etwas zu gewinnen wäre. Das heißt nicht, dass es keine Unterschriftensammlungen, Demonstrationen oder Kongresse mehr geben sollte. Aber daneben müssen Aktionsformen eingeübt und angewandt werden, die der Schärfe des Konflikts und der Interessengegensätze angemessen sind. Ziviler Ungehorsam, Blockaden, Besetzungen, Aneignung des Lebensnotwendigen gehören zum unverzichtbaren Werkzeug wachstumskritischer Praxis.
  • Es bedarf einer begleitenden umfassenden Debatte, damit dies als legitim vermittelt und verstanden werden kann: Wie wollen wir leben? Was sind die Güter und Dienstleistungen, die Not-wendig sind für ein gutes Leben aller, die also die Not wenden, die soziale wie die ökologische? Was wollen wir in Zukunft produzieren und wie wollen wir das tun? Eine solche Debatte fragt also nach den Bedürfnissen und nicht nach den Finanzanlagen. Sie verlangt eine Entscheidung für eine bedarfsorientierte Ökonomie und stellt damit die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse zur Disposition, aber auch die bestehende Arbeitsteilung zwischen Produktions- und Sorgetätigkeit und damit zwischen Männern und Frauen.

Wir schlagen nicht vor, all das auf einmal erreichen zu wollen. Die Kräfteverhältnisse sind so, dass die wachstumskritische ebenso wie die Bewegung für soziale Gerechtigkeit über jeden Teilerfolg, über jeden gewonnenen Abwehrkampf froh sein muss. Es kann oft durchaus richtig sein, auch kleine Ziele anzupacken und einen Weg Schritt für Schritt zurückzulegen. Aber die Kräfteverhältnisse werden sich nicht ändern, wenn die Bewegung sich nicht bewusst ist und auch laut sagt, dass es ihr ums Ganze geht. Nur weil wir heute nicht alles kriegen, heißt das nicht, dass wir aufhören können, es zu fordern.

Fußnoten:

1) Association pour la taxation des transactions financières pour l’aide aux citoyens; seit 2009: Association pour la taxation des transactions financières et pour l’action citoyenne – Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen zum Wohle der BürgerInnen.