Sorgearbeit im Zentrum der Wirtschaft

Ökofeministische Kritik von „Entwicklung“

11. November 2019

 

Ein Gespräch zwischen der Ökofeministin Ariel Salleh (Australien), und dem Aktivisten für Radical Ecological Democracy, Ashish Kothari (Indien) über die Notwendigkeit, Geschlechtergerechtigkeit als Grundlage für eine andere Entwicklungspolitik und eine sozial und ökologisch gerechte globale Wirtschaft zu sehen. Übersetzt aus dem Englischen von Andrea Vetter ( Konzeptwerk neue Ökonomie).

AK: Wie kann Feminismus mit ökologischem Denken zusammenkommen, um den „Entwicklungsfundamentalismus“ im Globalen Süden in Frage zu stellen

AS: Im Norden wie im Süden sind die Grundlagen ökofeministischer Politik die alltäglichen Mühen des Überlebens von Frauen innerhalb ihrer jeweiligen sozialen Zusammenhänge in einer zunehmend den Tod in Kauf nehmenden, profitgetriebenen maskulinistischen Kultur. Von Anfang an haben ökologische Feministinnen das Modell der ökonomischen Globalisierung abgelehnt und blieben auf Distanz zum westlich-liberalen individualistischen Feminismus. Von Kriegen genauso wie von „Entwicklungsprojekten“ sind Frauen und Kinder immer diejenigen, die am schlimmsten betroffen sind. Der Katalysator für dieses Bewusstsein waren in den 1970er und 80er Jahren die Proteste von Frauen gegen die Atomindustrie, und viele ökofeministische Aktivistinnen konzentrierten sich auf den Staat und den militärisch-industriellen Komplex. Es gab exemplarische Proteste vor dem US-Pentagon, an der Greenham Common-Raketenbasis in Großbritannien und in australischen Städten zu Uranabbau auf indigenem Land. „Women-for-life-on-earth“ beschäftigte sich dabei sowohl mit direkten Aktionen als auch mit der kritischen Reflektion der Armut von patriarchaler Wissensproduktion.

AK: Gibt es einen Literaturkanon zu Ökofeminismus?

AS: Ja, doch vieles ist noch mitten im Entstehen. Grundlegend ist, dass Ökofeministinnen tiefe kulturelle Verbindungen sehen zwischen der eurozentristischen Ausbeutung der so genannten „Mutter Natur“, der Unterdrückung von Frauen, und generell der Unterdrückung von „Anderen“, die rassifiziert oder speziesistisch klassifiziert werden. Das Wort „Ökofeminismus“ wurde zwar zum ersten Mal 1974 gedruckt, mit Francoise D’Eaubonnes „Feminismus oder Tod“, aber Frauen in Graswurzelbewegungen auf allen Kontinenten haben denselben hybriden Begriff genutzt, um ihre eigenen widerständigen Bewegungen zu beschreiben.
Carolyn Merchant hat 1980 in „Der Tod der Natur“ die Kritik der patriarchalen Aneignung vertieft, indem sie die „naturwissenschaftliche Revolution“ von Bacon bis Descartes untersucht hat: In England hat der Staat Hexenjagden auf Kräuterfrauen und Hebammen organisiert, die es ermöglicht haben, die Royal Society als wissenschaftliche Vereinigung nur für Männer zu etablieren. In der Folge behandelte die moderne Medizin den Körper nicht als Organismus, sondern als Maschine, die durch das Messen von Indikatoren manipuliert werden kann.
Die ökologischen Kosten dieser reduktionistischen und mechanistischen Wissenschaft wurden von Vandana Shiva 1989 in „Staying Alive“ ausbuchstabiert. Sie beschreibt, wie im Indien des 20.Jahrhunderts Technik im Dienste von „Entwicklung“ – wie fossile Landwirtschaft und genetisch verändertes Saatgut, die als „grüne Revolution“ eingeführt wurden – verheerende Auswirkungen auf Böden, Wasser, Wälder, und menschliches Leben hatten. Ich würde sagen, dass die hier erwähnten Autorinnen ökofeministische Grundlagen beschreiben, während eine jüngere Generation von Frauen diese Politiken kreativ weitertreibt.

AK: Passt Ökofeminismus in eine größere sozialistische Erzählung?

AS: Es ist andersherum: Sozialismus ist ein viel engerer Rahmen als Ökofeminismus! Frauen wurden von Marx nicht als „Klasse“ oder „Subjekt der Geschichte“ erkannt. Aber die kostenlose Hausarbeit von Frauen wird von Ehemännern angeeignet und ermöglicht es dem Kapital, Gesellschaft im biologischen und kulturellen Sinne zu reproduzieren. Wie Mariarosa Dalla Costa 1972 in „The Power of Women and the Subversion of the Community“ erklärt, gebären Frauen kostenlos jede neue Generation von Arbeitern und bedienen die männlichen Lohnarbeiter, die so Mehrwert für das Kapital produzieren können.
Maria Mies‘ Buch über Patriarchat und Akkumulation im Weltmaßstab (1986) gründete auf Rosa Luxemburgs Idee, dass die Kolonien zwingend benötigte Arbeit, Resssourcen und Märkte für die Kapitalakkumulation bereit stellen. Sie beschreibt, wie der koloniale Handel gleichzeitig die wirtschaftliche Unabhängigkeit von westafrikanischen Frauen zerstört und die Frauen in Deutschland als „Hausfrau-Konsumentinnen“ zu Hause eingesperrt hat. Es besteht kein Zweifel daran, dass Ökofeminismus eine materialistische Sichtweise ist, obwohl ich angesichts der schwierigen biologisches Geschlecht/soziales Geschlecht-Dimension sagen würde, es ist ein verkörperter Materialismus.
Historisch gesehen bilden tausende Jahre alte maskulinistische Institutionen die „erste politische Ordnung der Welt“, während der Kapitalismus erst 500 Jahre alt ist. Sozialistische Erklärungen geben dem Kapitalismus immer noch den Vorrang und behandeln Geschlecht als Nebenwiderspruch. Mein Buch „Ecofeminism as Politics“ (1997) untersucht die Auswirkungen dieses Fehlers auf eine mögliche Einheit verschiedener politischer Bewegungen – von Arbeiter*innen-Bewegungen, Frauen-Bewegungen, indigenen Bewegungen und ökologischen Bewegungen. Und das Buch verlangt von männlichen Mitkämpfern eine reflektierte Betrachtung von biologischem und sozialem Geschlecht – genauso wie Frauen an einem bestimmten historischen Punkt entdeckt haben, dass das Private politisch ist.

AK: Wie beeinflusst und unterstützt Ökofeminismus den Kampf für globale soziale und ökologische Gerechtigkeit? Und was ist mit dem Klimawandel?

AS: Frauen, ganz egal ob sie sich als Ökofeministinnen bezeichnen oder nicht, bilden den Großteil der ehrenamtlich Tätigen in Umweltschutzorganisationen. Sie bringen Bürgerinitiativen voran, die sich gegen Entwaldung, Vergiftung des Bodens oder des Wassers einsetzen. Auf der internationalen politischen Bühne sprechen Frauen Klartext – wie das „World Rainforest Movement“ in Uruguay, wie „Wo-Min against mining“ in Afrika, oder wie GenderCC bei den UN-Klimaverhandlungen. Es sind Aktivistinnen, die gegen den Bau des Narmada Hydroelectric Projekt demonstrieren, Frauen waren an vorderster Front der Bewegung gegen Großstaudämme in Indien.
Ökofeministinnen argumentieren, dass in einer politischen Ökonomie, die auf männliche Konkurrenz um Reichtum und Status geeicht ist, und in der politische Entscheidungsstrukturen und Institutionen maskulinistisch ausgestaltet sind, die Klimakrise notwendigerweise auch ein vergeschlechtlichtes Problem ist. Dazu kommt, dass die Nutzung reduktionistischer wissenschaftlicher Modelle im Zusammenspiel mit einer neoliberalen Marktlogik politisch die Bepreisung von CO2 priorisiert hat, unter Vernachlässigung eines ganzheitlichen praktischen ökologischen Verständnisses von industriellen Auswirkungen auf das Klima.

AK: Gibt es Widerstand gegen Ökofeministinnen?

AS: Die überall anzutreffende Unterdrückung von Frauen beeinflusst ökofeministische Politik auf viele Arten. Erfolgreiche Kampagnen, die von Frauen geführt wurden, werden häufig von Männern übernommen, die eintreten, um öffentliche Sprecherpositionen einzunehmen. Marxisten haben Ökofeministinnen angegriffen, weil ihnen eine „Klassenanalyse“ fehle. Postmoderne und technokratische Feministinnen weisen jedes Argument zurück, dass auf der von Frauen geleisteten reproduktiven Arbeit basiert, weil es traditionelle Geschlechterrollen verstärke. Aber feministische Ökologische Ökonominnen erkennen mittlerweile die zentrale Rolle von Sorgearbeit in der globalen Wirtschaft an.

AK: Wo zeigen sich erfolgreiche politische Aktionen?

AS: In Australien hat eine frauengeführtes Bewegung gegen Uranabbau ein Moratorium auf diesen Industriezweig erreicht, in dem sie erfolgreich bei der Labor Party dafür geworben hat; allerdings wurde das von einer späteren Regierung wieder zurückgenommen. Eine hochrangige Ökofeministin hat Parteien mobilisiert und eine Verhandlung vor dem Welthandelshof gewonnen, die die Patentierung des indischen Neem-Baumes durch einen Konzern für nichtig erklärt hat.
Die jetzt sehr einflussreiche Ökologische-Gerechtigkeits-Bewegung in den USA begann mit Müttern, deren Familien von der Industrieverschmutzung des Flusses Mississippi betroffen waren.
Ökofeministinnen waren die ersten, die mit der „Subsistenzperspektive“, die auf dem Prinzip der Öko-Suffizienz basiert, Degrowth-Perspektiven vorweggenommen haben. Ökofeministische Denker*innen und Schreiber*innen fordern auch aktuell immer wieder maskulinistische blinde Flecken heraus – im Neoliberalismus, in der Ökologischen Ökonomik, im Sozialismus, in der Umweltethik, in dekolonialen und Degrowth-Bewegungen. Frauen bilden die Hälfte der Menschheit – es kann keine globale soziale Gerechtigkeit geben, wenn ihre/unsere Erfahrungen und Fähigkeiten nicht gehört und respektvoll in den weltweiten Kampf für eine Erddemokratie integriert werden.

Das englische Original dieses Interviews erschien auf dem Blog Radical Ecological Democracy: Ecofeminism and Radical Ecological Democracy

Ariel Salleh

ist Wissenschaftlerin und Aktivistin, aktuell lehrt sie Politische Ökonomie an der Universität Sidney. Wichtige Bücher, die sie verfasst hat und die nicht ins Deutsche übersetzt wurden, sind „Ecofeminism as Politics: nature, Marx and the postmodern“ (2017) und „Eco-Sufficiency and Global Justice“ (2009). Artikel und Buchkapitel von ihr sind auf www.arielsalleh.info zu finden.

Video-Vortrag von Ariel Salleh über Ecofeminism as Politics

Ashish Kothari

ist Mitgründer der Kalpavrish Environmental Action Group.

Teil 3 der Blogserie
„Sorgearbeit im Zentrum“

Mit dieser Blogserie wollen wir deutschsprachige und internationale Diskussionen vorstellen, die sich damit beschäftigen, wie Sorgearbeit, ökologische und soziale Gerechtigkeit und unser wachstumsbasiertes Wirtschaftsystem zusammen hängen. Dafür wählen wir verschiedene Formate: wir stellen Videos vor, Ton-Mitschnitte aus Konferenzen, Podcasts und Texte. Wir wollen mit dieser Blogserie einen Wegweiser bieten über einiges bisher gedachte, und dazu einladen, darüber hinauszudenken.