Sorgearbeit im Zentrum der Wirtschaft

Lokale und globale Perspektiven auf Sorgearbeit

02. Dezember 2019

 

Was sind globale Sorgeketten? Wie lässt sich für den Wandel sorgen? Was ist überhaupt feministische Ökonomiekritik? Mike Korsonewski und Mia Smettan vom Konzeptwerk Neue Ökonomie haben zu diesen und ähnlichen Fragen Bildungsmethoden entwickelt. Andrea Vetter, ebenfalls vom Konzeptwerk Neue Ökonomie, fragt nach, wie die Methoden entstanden sind, für wen sie sich eignen und was noch in Planung ist.

Andrea: „Die ganze Arbeit“ nennt ihr das Set an neun Bildungsmethoden, das ihr zum Schnittfeld der Themen Sorgearbeit, Wirtschaften und Ökologische Krise erstellt habt. Wie kamt ihr darauf?

Mike: Es gibt einen großen Bedarf, Bildungsarbeit zum Thema Care anzubieten, und dafür braucht es angemessene Methoden. Es gab dafür zwar ein paar Beispiele von Gruppen, die sich etwas zu Geschlechterverhältnissen überlegt haben. Aber Methoden zu Care in Verbindung zu ökologischen Themen gab es noch nicht. Das war ein Ausgangspunkt unserer Arbeit.

Mia: Das Konzeptwerk hat viele Jahre Erfahrung in der Bildungsarbeit zu sozial-ökologischer Transformation, und dazu selber viele Bildungsmethoden erstellt. Der Bereich Care war da aber noch eine Leerstelle. Wir haben dazu recherchiert und sind nur auf eine einzige Broschüre aus Österreich gestoßen, aus Deutschland gab es gar nichts.

AV: Und worum geht es in euren Methoden-Bausteinen genau?

Mike: Care oder Sorgearbeit ist der Teil von Arbeit, der ökonomisch oft nicht gesehen oder wertgeschätzt wird, und der im alltäglichen Umgang miteinander entwertet ist, einen schlechten Ruf hat und weiblich sozialisierten Menschen zugeschoben wird. Deshalb haben wir das Methoden-Paket auch „die ganze Arbeit“ genannt – denn es geht auch um das Verhältnis zwischen Sorgearbeit und anderen Arbeiten. Die Methoden selbst sind sehr unterschiedlich – es gibt einführende Materialien und speziellere Blicke.

AV: Gibt es auch Bildungsbausteine mit entwicklungspolitischem Bezug?

Mike: Es gibt zwei Methoden, die sich damit auseinandersetzen, wie Migration und Arbeit zusammen hängen. Erstens „Alle(s) verbunden, (globale) Sorgeketten“ – das ist eine Gruppenarbeitsmethode, in der sich die Teilnehmenden anhand von Texten mit der Situation verschiedener Menschen, die migriert sind, auseinandersetzen. Zum Beispiel die Perspektive einer Frau, die von den Philippinen kommt und in Deutschland in der Altenpflege arbeitet: welche Fragen wirft das auf? Es geht darum, die Stimmen dieser Akteur*innen und deren Perspektiven kennen zu lernen, und die globale Einbettung von Sorgeverhältnissen zu verstehen.

Eine zweite Methode heißt „Un_sichtbar Global!“, darin schauen die Teilnehmenden zusammen einen Film und stellen sich anschließend Fragen dazu. In dem Film wird eine Hausarbeiterin vorgestellt, die in der Schweiz lebt und aus Ecuador kommt. Es geht dabei auch darum, dass sie als papierlose Person in der Schweiz gelebt hat und dann humanitäres Asyl bekommen hat. Wie sind die Migrationswege für diese Menschen? Das ist eine der Fragen, die der Film aufwirft.

Mia: Eine dritte Methode, die wir selbst bislang am meisten verwendet haben, ist „Für den Wandel sorgen“. Sie ist dazu da, zu alternativen Konzepten für Care und Wirtschaften zu inspirieren. Dafür haben wir 16 Initiativen angeschrieben, die haben uns geschildert haben, inwiefern sie Care Arbeit alternativ organisieren. Es sind ganz unterschiedliche Projekte und Initiativen dabei, zum Beispiel die Poliklinik-Gruppe aus Leipzig, die ein Gesundheitszentrum in der Stadt aufbauen wollen, die medizinische und soziale Unterstützung im Kiez geben wollen. Auch bundesweite Gruppen wie das Netzwerk Care Revolution kommen vor, und auch Gruppen aus anderen Ländern, zum Beispiel die Genossenschaft Cecocesola in Venezuela, die ein Gesundheitszentrum gegründet haben, wo es darum geht, für viele Menschen mit wenig Einkommen eine Gesundheitsversorgung zur Verfügung zu stellen. Wir haben oft versucht in den Methoden lokale, bundesweite und internationale Projekte zusammenzubringen, um deutlich zu machen, dass es nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit viel zu verändern gilt.

AV: Wie bringt ihr die Methoden neben dem Zugang über das Internet denn unter die Leute?

Mike: Wir hatten Ende 2018 in Hamburg in der Poliklinik Veddel eine Methodenfortbildung, das war der perfekte Ort um das zu machen, die Poliklinik ist auch eine der Initiativen, die wir in „Für den Wandel sorgen“ vorstellen. Es kamen ganz verschiedene Menschen, die Bildungsarbeit aus akademischer oder aktivistischer Sicht machen, manche hatten bei uns zum ersten Mal Kontakt zu unserer feministischen Perspektive. Wir haben auch selber Care beim Workshop mitgedacht, beim Essen und der Kinderbetreuung.

AV: Welchen Herausforderungen seid ihr dabei begegnet?

Mike: Wir wurden immer wieder gefragt: Für welche Zielgruppen ist das geeignet? Welche Lebensrealitäten werden darin angesprochen, gibt es zum Beispiel auch ausreichend queere Perspektiven?

Mia: ich hatte den Eindruck, es gibt einerseits den Anspruch, dass die Inhalte komplex sein sollen – wie die Wirtschaft funktioniert, Geschlechterverhältnisse und Migration, dass das dargestellt werden soll. Aber es gibt gleichzeitig auch den Wunsch, dass die Methoden nicht zu akademisch sind, nicht zu intellektuell, auch für junge Menschen geeignet. Das ist didaktisch sehr anspruchsvoll, und da stoßen wir bei unseren Methoden auch immer wieder an Grenzen. Wir fanden das Feedback, dass wir bekommen haben sehr hilfreich und werden einiges auch aufnehmen.

AV: Wozu würdet ihr gerne noch weitere Bildungsbausteine erstellen, mit dem Wissen, das ihr jetzt gewonnen habt?

Mia: Wir haben uns auf jeden Fall vorgenommen, 2020 die Methoden noch zu erweitern. Denn gerade die Sichtweisen aus queerer Perspektive fehlen oft, da wollen wir die Methode „Für den Wandel sorgen“ ergänzen.

Mike: Wir planen außerdem drei neue Methoden: eine davon geht darum, wie gewerkschaftliche Organisierung in Sorgeberufen funktionieren kann. Ein weiteres Thema wird sicherlich sein, weiter den Zusammenhang zwischen Ökologie, Care und Feminismus zu vertiefen, die Kritik an bestehenden Geschlechterverhältnissen und a, Wirtschaftswachstum zusammenzubringen. Da gibt es viele Möglichkeiten, das noch auszubauen.

Mia: Und es soll noch eine dritte Methode geben zum Thema globale und globalisierte Sorgeketten.

Mike: Ich finde es sehr bereichernd, mit anderen Menschen, die Bildungsarbeit machen, in Austausch zu stehen und zu lernen. Bildung funktioniert wie ein Dialog, da müssen viele zusammen drauf schauen. Ich freue mich auf den Prozess und den Austausch.

AV: Vielen Dank euch und viel Erfolg bei der Weiterarbeit!
Die Methoden können frei genutzt werden und sind im Rahmen einer Creative-Commons-Lizenz zu verwenden. Sie sind auf:
www.endlich-wachstum.de und bei care-revolution.org veröffentlicht.

Mia Smettan

hat Soziale Arbeit studiert. Sie lebt in Leipzig und arbeitet seit zwei Jahren beim Konzeptwerk Neue Ökonomie zu den Themen Care, Arbeit und feministische Ökonomiekritik.

Mike Korsonewski (M.A.)

ist Jahrgang 1988 und lebt seit kurzem in Leipzig. Er arbeitet seid etwas mehr als eineinhalb Jahren beim Konzeptwerk Neue Ökonomie zu den Themen Care, Arbeit, feministische ökologische Ökonomiekritik und ist im Netzwerk Care Revolution aktiv.

Teil 7 der Blogserie „Sorgearbeit im Zentrum“

Mit dieser Blogserie wollen wir deutschsprachige und internationale Diskussionen vorstellen, die sich damit beschäftigen, wie Sorgearbeit, ökologische und soziale Gerechtigkeit und unser wachstumsbasiertes Wirtschaftsystem zusammen hängen. Dafür wählen wir verschiedene Formate: wir stellen Videos vor, Ton-Mitschnitte aus Konferenzen, Podcasts und Texte. Wir wollen mit dieser Blogserie einen Wegweiser bieten über einiges bisher gedachte, und dazu einladen, darüber hinauszudenken.