Sorgearbeit im Zentrum der Wirtschaft

Kämpfe um Identitätsfragen sind neoliberal

29. November 2019

 

Bei der bolivianischen Feministin María Galindo heißt es, spontan sein. Britt Weyde und Carmen Ibáñez Cueto (ila Nachrichten) treffen die bekannte und streitbare Feministin auf dem „Global Media Forum“ in Bonn. „Ich bin wahrscheinlich die einzige Bolivianerin auf dieser Veranstaltung“, meint die 54-Jährige. „Das hier ist ja eher eine Veranstaltung des Establishments“, fügt sie hinzu. Sie suchen eine ruhige Ecke für das Interview. María möchte ebenfalls alles aufnehmen. Das Interview wird zu einer reziproken Angelegenheit, die Interviewerinnen müssen sich ebenso (vor)stellen. Dann geht es los mit der Barricada. Auch hier vertauschte Rollen. Denn als Barricadas bezeichnet normalerweise Galindo die Interviews, die sie selbst im feministischen Sender „Radio Deseo“ führt. Darin rückt sie ihren Gästen auf die Pelle, bohrt nach und verstört mit zuweilen recht persönlichen Fragen, etwa wenn sie die schwedische Gleichstellungsbeauftragte Asa Regner live on air fragt, wie hoch ihr monatliches Gehalt sei. Das Interview führten Carmen Ibáñez Cueto und Britt Weyde im Juni 2018 in Bonn. Bearbeitung und Übersetzung: Britt Weyde.

Womit verdienst du deine Brötchen? Wie definierst du dich selbst: Indianerin, Indigene, chola (in die kreolische Gesellschaft integrierte Indigene), mestiza?

Ich bin Mitglied und Gründerin der Bewegung Mujeres Creando, die es seit 1992 gibt. Ich bin eine sture Frau, die an den politischen und sozialen Kampf glaubt, und zwar nicht nur eine Zeit lang, wenn du jung bist und viele Träume hast, sondern als Lebensweg. Ich bin die öffentliche Lesbe und dabei eine Überlebende der lesbischen Gruppen, denn dort habe ich mich ziemlich gelangweilt. Ich glaube nicht an die Kämpfe, die sich um Identitätsfragen drehen; diese identitäre Ausrichtung hat mit einer neoliberalen Sichtweise der sozialen Kämpfe zu tun. Ich war auch an der Universität, wo ich einige akademische Titel erworben habe, die ich niemals nutze. Die Gesellschaft hat mir den Wert dieser Titel verweigert, da ich als bekennende Lesbe niemals einer formalen Arbeit nachgehen konnte. Wovon ich lebe? Ich habe viel ausprobiert. Als ich keinen Job fand, verkaufte ich fünf Jahre lang choripanes (Wurstbrötchen). Dann begann ich Bücher zu veröffentlichen. Als meine Arbeit bekannter wurde, lud man mich zu Kunstevents ein. Meine ökonomische Situation war lange schwierig, seit einigen Jahren nicht mehr. Durch meine Bekanntheit werde ich eingeladen, für Vorträge und Workshops, und da verkaufe ich meine Bücher. Es gibt ein starkes Interesse an unserer Arbeit – ich arbeite ja mit einem großen Team von Frauen zusammen. Wir alle sind „Mujeres Creando“, eine Schule, eine soziale Bewegung, eine Gruppe Verrückter, ein Beispiel für Rebellion und Kampf.

Wie viele seid ihr bei Mujeres Creando?

Die Anzahl sagt nichts aus. Wir wollten nie eine Massenbewegung werden. Wir sind keine Gruppe, die sich zusammengetan hat, um Rechte einzufordern, sondern auf der Grundlage einer Ideologie, einer politischen Praxis und eines ethischen Codes. Bestandteil unseres ethischen Codes ist zum Beispiel die Verteidigung der bedingungslosen Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen oder die absolute Verteidigung der Frauen, die in der Prostitution arbeiten, bedingungsloser Antirassismus sowie das Verständnis für das Verhältnis zwischen körperlicher, kreativer und intellektueller Arbeit; schließlich die Heterogenität als wichtiges Element: Wir sind Indianerinnen, Huren, Lesben, vereint, aufgebracht und verschwestert.

Du hast einmal von deinem „Heimweh nach den Zöpfen“ gesprochen und dich darauf bezogen, dass es in Bolivien die chola ist, die die Kinder der Mittel- und Oberschicht aufzieht – kannst du mir etwas dazu erzählen?

Über den Dienst der Hausangestellten wird auf dem Rücken der indigenen Frauen ein Regime der Leibeigenschaft hergestellt. Das beschränkt sich nicht nur auf die weißen Mittelschichthaushalte. Aktuelle Statistiken des CEDLA, des Forschungszentrums für Arbeit und Landwirtschaft, besagen, dass die niedrigsten Löhne für Hausangestellte in El Alto gezahlt werden. Die Dienerschaft der indigenen Frauen ist also mannigfaltig. Die Art und Weise, wie diese Dienerschaft in Bolivien konstruiert wurde, ist rassistisch, Ausdruck der Klassengesellschaft, kolonial.
In Bolivien sind alle entweder Indigenist*innen oder Neo-indigenist*innen oder Philoindigenist*innen, weil es opportun erscheint. Alle suchen einen Bezugspunkt bei den indigenen Überlieferungen, als Empathie, die anscheinend auch der indigenen Welt nützt. Ich sage: Jede ursprüngliche Herkunft ist falsch, um politische Allianzen zu schmieden. In meiner persönlichen Biografie ist es so, dass ich eine pollera (die für cholas typischen Röcke) im Herzen trage, ebenso eine chola. Weil ich, wie Hunderttausende andere auch, von vielen indigenen Frauen großgezogen worden bin.

Du warst eine Zeit lang in Europa, auch in Deutschland, und du hast das Konzept der „Exilierten des Neoliberalismus“ entworfen. Erklär uns das bitte!

Ich selber musste ins „sexuelle Exil“ in den 80er-Jahren. Ich war sehr jung und suchte Schutz außerhalb des Landes, weil ich aufgrund meiner sexuellen Orientierung und meiner politischen Positionen verfolgt wurde; allerdings bekam ich niemals einen offiziellen Exiliertenstatus, weil meine Verfolgung nie formal politisch anerkannt wurde. Jahre später, als sich der Neoliberalismus mit voller Wucht in Bolivien durchsetzt, setzt der Export von billigen Arbeitskräften nach Brasilien, Spanien, in die USA und viele weitere Orte ein. Der Neoliberalismus treibt dich fort, vor allem als Frau, weil es keine Arbeit für dich gibt. Diese Masse an Menschen hält mit ihren Überweisungen das Land aufrecht. Die remesas stehen an vierter Stelle bei den Einnahmequellen Boliviens. Etwa 70 Prozent dieser Exilierten des Neoliberalismus sind Frauen. Sie gehen aus ökonomischen Gründen, häufig aber auch um die machistische Gewalt hinter sich zu lassen. Hier in Europa übernehmen sie die Rolle, welche die europäischen, weißen, angeblich emanzipierten Frauen nicht mehr erfüllen wollen. Und die patriarchalen Strukturen bei der Aufteilung der Hausarbeit bleiben unverändert. Diese lästige Arbeit wird von Bolivianerinnen oder Peruanerinnen erledigt.

Wann hast du für dich den Feminismus entdeckt?

Ich habe dazu das theoretische Konzept des „intuitiven Feminismus“ entwickelt. Viele Frauen, ohne theoretische Grundlage und ohne zu wissen, dass es diese Bezeichnung gibt, sind auf eine sehr intuitive Art und Weise Feministinnen, auf der Arbeit, im Alltag, in unseren Familien. Ich bin auch so eine intuitive Feministin, eine Frau, die überall aneckt. Ich erinnere mich an meine Zeit in einer linken, marxistisch-leninistischen Partei. Der Machismo und das Politikverständnis der Parteimänner hielten mich klein und legten mir überall Steine in den Weg. Erst später verwandelte sich mein intuitiver Feminismus in einen ideologischen und politischen. Da beschloss ich, Mujeres Creando zu gründen.

Mujeres Creando ist quasi als Kommunikationsguerilla unterwegs, oder?

Wir sind eine urbane, nicht gewalttätige Guerilla. Vor zwei Jahren vergewaltigte ein Abgeordneter eine Putzfrau, im Plenarsaal. Die Überwachungskameras zeichneten den Vorfall auf. Sie wurde tausendfach vergewaltigt, weil es auch im Fernsehen gezeigt und auf Youtube gepostet wurde. Weil der Abgeordnete Mitglied einer indigenen Bauernbewegung sowie der Regierungspartei MAS war, wurde gesagt, dass die Frau ihn nicht angezeigt hätte. Wir wussten, dass sie ihn sehr wohl angezeigt hatte, und stahlen die Akte mit der Anzeige und veröffentlichten sie. Mit unserem selbstverwalteten Zentrum La Virgen de los deseos („Die Jungfrau der Wünsche“) in La Paz haben wir quasi ein Justizministerium, allerdings ohne Bürokratie und Gehälter. Dort teilen wir uns die körperliche, intellektuelle und politische Arbeit und setzen unser Konzept von „konkreter Politik“ um. Unsere Kritik an der lateinamerikanischen Linken oder auch am Indigenismus ist: Sie wollen dich mit einem ideologischen Diskurs überzeugen, der auf das Morgen verweist. Unser Kampf ist zwar auch utopisch und radikal, aber wir glauben, dass die Feminismen auf konkrete Politik heruntergebrochen werden sollten, die für jeden verständlich ist, auch für Leute ohne feministische Positionen. Ein Teil davon ist unser Kampf gegen machistische Gewalt. Die meisten feministischen Bewegungen weltweit delegieren diesen Kampf an juristische, polizeiliche, staatliche Strukturen. Unserer Meinung nach ist das ein Fehler. Wir Feministinnen sollten diesen Kampf managen.

Entsprechende Gesetze voranzubringen hat also keinen Sinn? Was hältst du vom Gewaltschutzgesetz 348, das 2013 verabschiedet wurde?

Dieses „Integrale Gesetz, das den Frauen ein Leben ohne Gewalt garantiert“ ist von NRO entworfen worden, die diesen Kampf nicht führen müssen, aber der MAS nahestehen. Die weiblichen Abgeordneten diskutierten das Gesetzesprojekt, um ihre politische Existenz zu legitimieren, aber sie stimmten sich mit niemandem ab, hörten sich keinerlei Ratschläge von Organisationen mit Expertise an. Wir haben 40 Fehler in diesem Gesetz gefunden. Es gab eine Sitzung mit einem Abgeordneten, bei der wir auf die Fehler hinwiesen und Verbesserungsvorschläge unterbreiteten. Diese Sitzung ist auf unserer Website zu sehen. Aber diese praktischen Hinweise sind im Mülleimer gelandet, entsorgt von einem politischen System, dem das Leben der Frauen total egal ist.
80 Prozent aller Frauen in Bolivien haben in ihrem Leben bereits machistische Gewalt erfahren, insofern brauchen wir so ein Gesetz und haben dafür gekämpft. Gleichzeitig wissen wir genau: Das Gesetz ist die Waffe des Hegemons.

Also muss der Staat „entpatriarchalisiert“ werden …

Die Theorie der „Entpatriarchalisierung“ (despatriarcalización) habe ich vor dem Hintergrund der Verfassunggebenden Versammlung entwickelt. Das war ein wichtiger Prozess für die bolivianische Gesellschaft, schließlich ging es dabei um die Erneuerung des Sozialpaktes. Leider liefen die Diskussionen nach neoliberalen Gesichtspunkten ab. Es wurde gesagt: Nehmen wir in die neue Verfassung eine Reihe von Rechten auf, denn diese Subjekte fordern Rechte ein. Unser Standpunkt ist: Wir brauchen keine Rechte, vor allem wenn sie sowieso nur auf dem Papier stehen. Stattdessen wollen wir die Entpatriarchalisierung der Gesellschaft, die tiefliegenden Strukturen verändern, die dieses System aus Privilegien bilden. Die Regierung eignete sich dieses Konzept an. Heute gibt es eine Stelle für Entpatriarchalisierung, die aber kaum staatliche Mittel hat und überhaupt nichts bewirkt. Letztlich wollten sie damit die Kraft unseres Konzepts neutralisieren. Außerdem muss Entpatriarchalisierung mit Dekolonisierung einhergehen, denn die kolonialen Strukturen haben hierarchische Machtstrukturen geschaffen. Ich glaube nicht, dass der Staat entpatriarchalisiert werden kann oder die Armee oder der Kapitalismus. Mit Entpatriarchalisierung meine ich eine Kraft, die die Gesellschaft verändert und nicht die Institutionen.

Du lehnst die Begriffe „LGBTI“ (lesbisch, gay, bi-, trans- und intersexuell) und „queer“ ab, warum?

LGBTI ist eine neoliberale Etikettierung, welche die heterosexuelle Norm und die heteropatriarchale Sicht auf die Welt bestärkt, denn als LGBTI werden wir alle zu den „anderen“ gemacht, die eben nicht der hegemonialen Gruppe angehören. Auch die gleichgeschlechtliche Ehe fügt sich in die heteropatriarchale Matrix ein. Außerdem ist der Begriff LGBTI ein falscher Oberbegriff, weil es in Wirklichkeit keine politische Allianz zwischen den einzelnen Gruppen gibt.
Den theoretischen Ansatz und die realen Kämpfe des queeren Universums respektiere ich, was ich allerdings nicht akzeptiere: wenn Mujeres Creando als „queere Bewegung“ bezeichnet wird. Als politische Subjekte haben wir einen anderen Fokus. Die queere Bewegung hinterfragt die Kategorien von sozialem (Gender) und biologischem (Sex) Geschlecht. Wir hingegen gehen von der Kategorie „Frau“ aus, stellen von dort aus unsere Forderungen und nutzen diese Kategorie neu. Die queere Bewegung entledigt sich der Kategorie „Frau“. Mir ist es wichtig zu vermitteln, dass es nicht einen einzigen, europäischen Feminismus gibt und dass die weltweiten Feminismen kein Copy/Paste des modernen, westlichen, europäischen Feminismus sind. Die jeweilige Entstehungsgeschichte und theoretische Matrix der Feminismen weltweit fallen sehr unterschiedlich aus. Und die queere Bewegung stellt nur eine theoretische Matrix unter vielen dar. Unsere politische und theoretische Matrix ist aus unserem soziohistorischen Kontext heraus entstanden. In Bolivien leben wir nicht in der Unterentwicklung oder befinden uns auf dem Entwicklungspfad. Hier leben wir in einem entfesselten, extraktivistischen Neoliberalismus, in einer beschleunigten Zerstörung und Ausplünderung der Natur. In Bolivien kann man nicht von industrieller Revolution sprechen, noch viel weniger von technologisch-digitaler Revolution. Wir sind Konsument*innen von digitaler Technologie. Unserer Gesellschaft wird es verwehrt, Technologie zu produzieren. Wir kaufen sie zu überteuerten Preisen, während wir den Reichtum anderer erschaffen. Der Abbau von Mineralien in Bolivien findet unter mittelalterlichen Bedingungen statt, auf Kosten vieler Menschenleben. Insofern kann eure theoretische, politische und historische Matrix auf gar keinen Fall der unseren entsprechen. In meinem neuen Buch No hay libertad si no hay libertad sexual („Ohne sexuelle Freiheit gibt es keine Freiheit“) stelle ich mein Genderkonzept vor, das nicht auf einer binären Konstruktion beruht, sondern auf sechs präkolonialen Gattungen, die verfolgt, verdammt und ausgemerzt wurden im Zuge der 500 Jahre Kolonialismus.

Hierzulande wird Evo Morales von Teilen der Linken als indigener Präsident immer noch verklärt. Welche Analyse der politischen Lage Boliviens würdest du dem entgegenstellen?

Den Deutschen möchte ich mitteilen, dass es eine wunderschöne Salzwüste gibt, Salar de Uyuni, eine der größten Lithiumreserven weltweit, für die sich ein deutscher Konzern die Abbaurechte sichern konnte. Was im Kleingedruckten dieser Verträge steht, weiß ich nicht, ebenso wenig weiß es die bolivianische Gesellschaft. Dies wird ein weiteres Kapitel des kolonialen, transnationalen Extraktivismus sein, der sich durch ganz Lateinamerika zieht. Was sagen die deutsche Linke oder die Grünen dazu? Euer Lebensstandard, eure Logik, alles hat mit diesem Extraktivismus zu tun. Wenn du den entfesselten kapitalistischen Extraktivismus angreifen willst, musst du auch den entfesselten Konsum bekämpfen. Aber das ist nicht machbar, werden dann alle sagen, weil sich dieser Ansatz gegen die Autoindustrie richtet, gegen den Konsum, gegen das Wachstum.
Zurück zu Bolivien. Evo Morales ist ein Betrüger. Seine Regierung ist weder sozialistisch, noch bereitet sie den Weg zum Sozialismus, sie hat noch nicht einmal eine demokratische Berufung. Im Mai wurde ein Student auf einer friedlichen Demonstration in El Alto umgebracht. Zunächst wurde das Gerücht lanciert, dass andere Studierende ihn umgebracht hätten, dann versuchte das Innenministerium, die Befunde der Autopsie zu manipulieren. Zum Glück wehrten sich die Student*innen und besorgten Aufzeichnungen der Sicherheitskameras, auf denen zu sehen war, dass der Mann von einem Motorradpolizisten erschossen worden war. Und Evo? Postete einen Tweet mit einer Beileidsbekundung, jettete mit einem Privatflieger zur WM nach Russland und verkündete, dass das eine Verschwörung der Rechten und des Imperialismus gewesen sei. Unter Evo Morales gibt es keine Meinungsfreiheit, es herrscht Zensur, Menschenleben werden nicht respektiert, es gibt keine Diskussionskultur. Ist der Vertrag über den Lithiumabbau etwa diskutiert worden? Nein. Nur regierungstreue Medien bekommen Informationen. Evo ist eine indigene Hülle für eine Regierung, die nach wie vor neoliberal ausgerichtet ist und die agrarindustriellen Großunternehmer in Santa Cruz stützt. Seine Leute haben alle sozialen Organisationen infiltriert, Nachbarschaftsvereinigungen, Gewerkschaften, alle haben sich gespalten in die Regierungstreuen, mit denen verhandelt wird, und die anderen, die vernachlässigt, misshandelt, umgebracht werden. Die Gesellschaft erstickt unter Evo Morales.

Deine Barricadas, deine Radiointerviews sind berühmt, unter anderem war Álvaro García Linera bei dir zu Gast, Botschafter und Diplomaten. Welche Persönlichkeit aus Deutschland würdest du gerne mal interviewen?

Nun, Frau Merkel würde mich schon reizen! Ich würde sie fragen, inwiefern sich ihre imperialistische Sichtweise der Welt von der imperialistischen Sichtweise Hitlers unterscheidet. Des Weiteren würde ich sie zur deutschen Waffenindustrie befragen, mit der Deutschland schließlich Kriege auf der ganzen Welt unterstützt. Und dann natürlich zum Thema Frauen. Biologisch gesehen ist Angela Merkel natürlich eine Frau, aber als politisches Wesen interessiert sie sich ganz und gar nicht für diese Kategorie.

Welche aktuellen Prozesse in Bolivien geben dir Energie?

Mich inspiriert, dass der Prozess der Entpatriarchalisierung bereits tagtäglich in Bolivien stattfindet. Wir durchbrechen patriarchale Vorgaben, egal wie viel es kostet. Frauen kämpfen um persönliche und kollektive Freiheit, stellen das Modell der Mutterschaft in Frage, die Rolle des Mannes als alleinigem Versorger sowie die geschlechtliche Aufteilung des Wissens. Dieser historische Prozess findet jenseits der Gesetze und des Staates statt, vielmehr innerhalb der bolivianischen Realität, in dem täglichen Kampf, sich selbst und seinen Weg stets neu zu erfinden.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift „ila. Das Lateinamerika-Magazin“.

María Galindo

ist eine in Bolivien sehr bekannte Feministin, Journalistin und Künstlerin. Sie ist Mitgründerin des aktivistischen Kollektivs Mujeres Creando.

Mehr zu Mujeres Creando findet sich auf ihrer spanischsprachigen Website: www.mujerescreando.org

Hier findet sich eine Video Perfomance von María Galindo.

Teil 6 der Blogserie
„Sorgearbeit im Zentrum“

Mit dieser Blogserie wollen wir deutschsprachige und internationale Diskussionen vorstellen, die sich damit beschäftigen, wie Sorgearbeit, ökologische und soziale Gerechtigkeit und unser wachstumsbasiertes Wirtschaftsystem zusammen hängen. Dafür wählen wir verschiedene Formate: wir stellen Videos vor, Ton-Mitschnitte aus Konferenzen, Podcasts und Texte. Wir wollen mit dieser Blogserie einen Wegweiser bieten über einiges bisher gedachte, und dazu einladen, darüber hinauszudenken.