Bausteine für Klimagerechtigkeit
Die aktuelle Energiekrise zeigt: Statt der bisherigen ungerechten und nicht nachhaltigen Energiepreissysteme braucht es ein Recht auf eine Energie-Grundversorgung –
Am Ende kann nur eine tiefgehende Transformation Krisen nachhaltig bekämpfen.
Wichtige Bausteine sind die demokratische Vergesellschaftung von Energieversorgung und Wohnraum, gezielter industrieller Rückbau mit Arbeitszeitverkürzung und eine Ernährungswende.
Die Bundesregierung muss Transparenz über industrielle Verbrauchsdaten schaffen, um eine demokratische Debatte über Drosselungen zu ermöglichen. Gleichzeitig müssen in der Hektik der Krise fossile Schnellschüsse verhindert werden: Dazu zählen Gaslieferverträge über 20 Jahre, neue LNG-Terminals oder neue Gas- und Ölbohrungen im Wattenmeer, die kurzfristig nicht helfen, aber langfristig die Wärmewende blockieren könnten.
Diese Investitionsmittel sollten stattdessen in erneuerbare Energien und die Wärmewende fließen. So kann der Gasbedarf gesenkt werden, noch ehe die – somit endgültig überflüssigen – fossilen Projekte lieferbereit sind.
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In dieser Krise des fossilen Kapitalismus brauchen wir kurz- und langfristige Maßnahmen, die sinnvoll aufeinander aufbauen. Langfristiges Ziel ist das Recht auf eine Grundversorgung mit Energie in einem klima- und sozial gerechten Energiepreissystem, das allen Sicherheit für ihren Energie-Grundbedarf verspricht und Verschwendung vermeidet. Kurzfristig geht es darum, die nächsten Winter zu überstehen – ohne dass Menschen zum Frieren gezwungen werden und ohne neue, wenig durchdachte und langfristig bindende Investitionen in fossile Brennstoffe.
In diesem Winter können kurzfristige Maßnahmen ein Einstieg sein, um unverhältnismäßig große Verbrauche einzuschränken und ein Recht auf Energie für alle zu verwirklichen. Was braucht es dazu?
Ein Preisdeckel für den Energie-Grundbedarf (Strom und Heizung) ist notwendig, um Energiearmut in Haushalten mit niedrigem Einkommen und hohen Energiekosten zu verhindern und sicherzustellen, dass niemand frieren muss. Das wäre ein Einstieg in ein progressives Tarifsystem. Für die spezifischen Kosten der Gaskrise benötigen wir solidarische Lösungen. Dazu ist weder die Gasumlage noch die pauschale Absenkung der Mehrwertsteuer auf Gas geeignet.
Gezielte sozialpolitische Maßnahmen wie die Erhöhung der Regelsätze für Transferempfänger*innen sind erforderlich. Daneben müssen Strom- und Gasabschaltungen bei Haushalten, die ihre Rechnungen nicht pünktlich bezahlen können, im Sinne eines Rechts auf Energie-Grundversorgung verhindert werden. Die explodierenden Profite fossiler Konzerne müssen schnell umverteilt werden, beispielsweise über eine Übergewinnsteuer. Auch das kann zur Finanzierung des Preisdeckels beitragen.
Mit gezielten Drosselungen der nicht lebensnotwendigen industriellen Produktion der Auto-, Rüstungs- und Chemieindustrie können Gas-Engpässe überbrückt werden. Für eine solche Drosselung braucht es eine transparente demokratische Debatte: Wie viel Gas fließt in welche Produkte? Wie viel wird benötigt für lebenswichtige Medikamente und wie viel steckt in Dingen, die weniger wichtig oder sogar schädlich sind, wie in SUVs und Waffen? Diese Daten werden derzeit im Auftrag des Wirtschaftsministeriums gesammelt. Sie müssen umgehend öffentlich zugänglich gemacht werden.
Auch müssen fossile Schnellschüsse verhindert werden: Für neue LNG-Terminals werden aktuell Lieferverträge über 20 Jahre verhandelt, durch die fatale Auswirkungen auf die Energie- und Wärmewende in Deutschland drohen. Schnell sollen auch Genehmigungen für die Förderung verschiedener Gas- und Ölvorkommen im Wattenmeer und der Nordseeküste her, selbst Fracking wurde wieder in die Debatte gebracht. Solche langfristigen fossilen Projekte, die erst in Jahren Energie liefern könnten und in diesem Winter nicht helfen werden, sind ein dramatischer energie- und umweltpolitischer Rückschritt.
Auch auf globaler Ebene haben diese Projekte verheerende Auswirkungen: Die Bemühungen Deutschlands und anderer reicherer Länder um eine von Russland unabhängige Gasversorgung sorgen derzeit dafür, dass ärmere Länder ihren Grundbedarf an Gas nicht mehr decken können. In diesen Ländern sind lebenswichtige Versorgungsinfrastrukturen betroffen. Es gilt daher, für globale Solidarität bei der Energiebeschaffung einzustehen: Der deutsche LNG-Einkaufsrausch darf nicht auf Kosten der Grundversorgung in ärmeren Ländern gehen.
Um das Recht auf Energie-Grundversorgung für alle Menschen auch dauerhaft zu sichern, benötigen wir langfristige, transformative Maßnahmen.
Soziale und klimagerechte Energietarife
Soziale und klimagerechte Energietarife für Haushalte könnten eine Energie-Grundversorgung in einem klima- und sozialgerechten Energiepreissystem verwirklichen. Ähnlich wie beim kurzfristigen Deckel wird dauerhaft ein Grundbedarf an Energie günstig zur Verfügung gestellt, Zusatz- bzw. Luxusverbrauch wird zunehmend teurer. Mehr dazu in unserem Hintergrundpapier → „Soziale und klimagerechte Energietarife“.
Vergesellschaftung
Die Vergesellschaftung und gerechte, suffiziente Verteilung von Wohnraum ermöglichen eine gleichmäßige Verteilung des Energiebedarfs und erleichtern die systematische energetische Sanierung des Gebäudebestands.
Auch in der Energieversorgung ist Vergesellschaftung sinnvoll: Ohne Profitdruck könnten so demokratisch ökologische Produktion und soziale Tarifsysteme festgelegt werden.
Investitionen
nachhaltiger industrieller Rückbau
Auch langfristig wird das von der Bundesregierung vertretene deutsche Leitbild des industriellen Exportweltmeisters nicht mit globaler Klimagerechtigkeit vereinbar sein. Wo bei kurzfristigen Drosselungen Kurzarbeitsregelungen helfen, muss ein nachhaltiger industrieller Rückbau mit Arbeitszeitverkürzung einhergehen.
Bündnisse bauen
Es ist wichtig eine gemeinsame Grundlage für Bündnisse zu finden, die kurzfristige Maßnahmen mit einer langfristigen Perspektive verbinden.
Eine Gefahr in der aktuellen Krise liegt darin, dass traditionelle, ansonsten um Zusammenarbeit bemühte sozialpolitische und ökologische Akteur*innen sich jeweils auf ihre Kernpositionen zurückziehen und so passiv gegeneinander arbeiten. Unsere Maßnahmen zum Recht auf Energie-Grundversorgung für alle können Sozialverbände, Verbraucher*innen-Organisationen und Mieter*innen-Bewegungen mit Umweltverbänden und Klimagruppen zusammenbringen. Auch Gewerkschaften haben ein Interesse an Kostenentlastungen. Um dort Akzeptanz für vorübergehende Drosselungen der Industrieproduktion zu schaffen, bräuchte es entsprechende Regelungen für Kurzarbeit.
Parteipolitisch ist dem Krisenmanagement der Ampelregierung nur durch eine glaubwürdige transformative Haltung zu begegnen –
» Wir brauchen jetzt alle Energie, die wir bekommen können, um Energiearmut zu verhindern. «
Energiearmut ist zuallererst eine Frage der Verteilung – sowohl der Energie selbst als auch der Kosten. Für eine gerechte Verteilung braucht es gezielte Maßnahmen, wie von uns vorgeschlagen. Bei manchen der geplanten Projekte wie den LNG-Terminals werden zudem hohe Kosten durch öffentliche Haushalte übernommen. Gleichzeitig bleiben Maßnahmen aus, um an der Krise verdienende Konzerne an den Kosten zu beteiligen.
» Der LNG-Ausbau ist notwendig, um die nächsten Winter auch ohne russisches Gas zu überstehen. «
Nur die schwimmenden LNG-Terminals mit ihren relativ begrenzten Kapazitäten werden überhaupt in den nächsten ein bis zwei Jahren einsatzfähig sein. Für die festen Anlagen, in die gerade hauptsächlich investiert wird, wird mit Bauzeiten um die fünf Jahre gerechnet. Für diese werden Abnahmeverträge über 20 Jahre verhandelt. In einem mit US-amerikanischen Lieferanten unterzeichneten 20-Jahres-Vertrag soll das LNG aus Anlagen stammen, die sich noch in oder vor der Bauphase befinden – erst ab 2026 soll es losgehen. In den Verhandlungen mit Katar stehen sogar Klauseln im Raum, die den Weiterverkauf des Gases in Europa verbieten würden. Dort kam es auch wegen dieser von katarischer Seite präsentierten Forderungen bisher noch nicht zu einem Abschluss. Dennoch schafft bereits das erste unterzeichnete Abkommen neue und dauerhafte fossile Abhängigkeiten, die den bis 2045 angekündigten deutschen Gasausstieg schwierig bis unmöglich machen könnten. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat längst Möglichkeiten skizziert, wegfallendes russisches Gas auch ohne neue LNG-Anlagen zu kompensieren.
» Billige Energiepreise fördern bloß Verschwendung.«
Die von uns vorgeschlagenen Mechanismen verbilligen nicht alle Energie, sondern beziehen sich gezielt nur auf festzulegende Grundbedarfe. Der darüber hinausgehende Verbrauch wäre teurer. So gibt es einen klaren Anreiz, Energieverschwendung zu vermeiden.
» Wir alle müssen jetzt sparen. «
Grundsätzlich ist ein sparsamer, aufs Nötige beschränkter Energieverbrauch zu Hause natürlich sinnvoll. Den sollen auch progressive Tarife fördern. Viele Menschen haben dazu auch gute Möglichkeiten, weil ihre Heizungen höher eingestellt sind als nötig, sie beheizte, wenig genutzte Räume in ihrer Wohnung haben oder sie den Zweitkühlschrank ruhig abschaffen könnten. Doch „wir“ sitzen eben nicht alle im selben Boot. Von einer Rentnerin mit geringer Rente in einer kleinen Wohnung kann schlecht dieselbe Einsparung verlangt werden wie von einem Villenbewohner mit vier Bädern. Die Spardebatte sollte vor allem nicht von dringend benötigten politischen Lösungen ablenken, die auch und gerade den öffentlichen und industriellen Verbrauch betreffen. Andernfalls kommt die zu Hause tapfer eingesparte Kilowattstunde eben nicht gezielt der Rentnerin zugute, sondern in großen Teilen der Jahresbilanz industrieller Großkonzerne.
Wasserstoff und Klimagerechtigkeit
Wasserstoff ist keine Wunderwaffe gegen die Klimakrise
Energiepreise
Transformative Wege aus der Krise
Gerechte Wohnraumverteilung
Vergesellschaftung als Basis gerechter & ökologischer Wohnraumverteilung
Sozial-ökologische Steuerpolitik
Klimagerecht umverteilen
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Wir brauchen Städte für Menschen – nicht für Autos
Klimaschulden & Reparationen
Arbeitszeit-Verkürzung
Für die 4-Tage-Woche und ein gutes Leben für alle
Gerechte Bodenpolitik
für eine demokratische, vielfältige und zukunftsfähige Landwirtschaft
Förder*innen
Supported in part by a grant from the Foundation Open Society Institute in cooperation with the Europe and Eurasia Program of the Open Society Foundations.